EuGH C-235/00, CSC Financial Services

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)

13. Dezember 2001 (1)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie - Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 - Befreite Umsätze - Umsätze, die sich auf Wertpapiere beziehen - Vermittlung - Dienstleistungen eines .Call centers'“

In der Rechtssache C-235/00

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Crown Office) (Vereinigtes Königreich), in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Commissioners of Customs & Excise

gegen

CSC Financial Services Ltd

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. La Pergola, L. Sevón (Berichterstatter), M. Wathelet und C. W. A. Timmermans,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer

Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Abteilungsleiterin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der CSC Financial Services Ltd, vertreten durch D. Milne, QC, und E. Wilson, Barrister, im Auftrag von L. Allen, Accountant,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch G. Amodeo als Bevollmächtigte im Beistand von N. Paines, QC, und R. Baldry, Barrister,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal als Bevollmächtigten,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der CSC Financial Services Ltd, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission in der Sitzung vom 12. Juli 2001,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Juli 2001,

folgendes

Urteil

1.

Mit Beschluss vom 1. Juni 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juni 2000, hat der High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Crown Office), gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung des Artikels 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, nachfolgend: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.

Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen den Commissioners of Customs & Excise (nachfolgend: Commissioners), die im Vereinigten Königreich für die Erhebung der Mehrwertsteuer zuständig sind, und der CSC Financial Services Ltd (nachfolgend: CSC) über die Frage, ob verschiedene Dienstleistungen, die die CSC im Auftrag der Sun Alliance Group (nachfolgend: Sun Alliance) erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegen.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsregelung

3.

Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

d) die folgenden Umsätze:

...

5. die Umsätze - einschließlich der Vermittlung, jedoch mit Ausnahme der Verwahrung und der Verwaltung - die sich auf Aktien, Anteile an Gesellschaften und Vereinigungen, Schuldverschreibungen oder sonstige Wertpapiere beziehen, mit Ausnahme von

- Warenpapieren,

- Rechten oder Wertpapieren im Sinne von Artikel 5 Absatz 3.“

Nationale Regelung

4.

Nach Anhang 9 Gruppe 5 Nummer 6 Buchstabe e und Nummer 7 des Value Added Tax Act (Mehrwertsteuergesetz) von 1994 in der auf den fraglichen Zeitraum anwendbaren Fassung sind von der Mehrwertsteuer befreit:

„6. die Ausgabe, die Übertragung oder der Empfang von oder jeder Handel mit Wertpapieren oder sekundären Wertpapieren, d. h.

...

(e) Anteilscheinen oder anderen Urkunden, die Rechte an einem Fonds verleihen, der zu dem Zweck eingerichtet wurde oder die Wirkung hat, Personen, die über Anlagekapital verfügen, die Möglichkeit zu verschaffen, als Begünstigte des Fonds am Gewinn oder Einkommen aus dem Erwerb, dem Besitz, der Verwaltung oder der Veräußerung von Vermögensgegenständen teilzuhaben;

7. Vorbereitungen für oder die Mitwirkung an Umsätzen im Sinne von Nummer 6.“

5.

In Anmerkung 5 der Gruppe 5 des Anhangs 9 heißt es zur Erläuterung, dass „Nummer 7 ... auch die Herstellung des Kontaktes zwischen einer Person, die Umsätze mit Wertpapieren oder sekundären Wertpapieren im Sinne von Nummer 6 ausführt, und einer Person, die solche Wertpapiere zu erwerben oder zu veräußern beabsichtigt“, umfasst.

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

6.

CSC bietet Finanzinstituten Dienstleistungen eines so genannten „Call centers“. Dem vorlegenden Gericht zufolge liegt das Wesentliche dieser Dienstleistung darin, dass das Call center alle Außenkontakte des Finanzinstituts im Zusammenhang mit dem Handel mit bestimmten Finanzprodukten von der ersten Anfrage bis zum Verkauf, nicht aber den Verkauf selbst übernimmt.

7.

Die Sun Alliance, eine Gruppe von Gesellschaften, die Investmentfonds und persönliche Anlagepläne verwalten, betraute CSC mit der gesamten Kommunikation und allen Kontakten mit den Verbrauchern in Bezug auf ein Anlageprodukt namens „Daisy personal equity plan“, bei dem die Anleger „units“ (Anteile) an einem „unit trust“ (Investmentfonds) halten.

8.

Die Vermittler von CSC erteilen den potentiellen Anlegern die erforderlichen Informationen und senden ihnen Antragsformulare für den „Daisy personal equity plan“ zu. Nach den geltenden nationalen Bestimmungen dürfen sie nicht beratend tätig werden, sondern nur Auskunft geben. CSC bearbeitet außerdem die von den potentiellen Anlegern übermittelten Antragsformulare, indem sie kontrolliert, ob das Formular ordnungsgemäß ausgefüllt worden ist, ob der Interessent die Aufnahmevoraussetzungen erfüllt und ob ein ordnungsgemäßer Zahlungsbeleg beigefügt ist. Schließlich bearbeitet CSC Anträge auf Auflösung von Anlageplänen.

9.

Die Formalitäten für die Ausgabe oder Übertragung der betreffenden Wertpapiere, d. h. die „units“ eines „unit trust“, werden jedoch von einem anderen, nicht mit CSC verbundenen Unternehmen erledigt.

10.

Sun Alliance bezahlt die Dienstleistungen von CSC nach einem Tarif, der sich aus einem festen Bestandteil und einem nach der Zahl der Anrufe und Verkäufe berechneten Anteil zusammensetzt.

11.

In einer Entscheidung, die in einem Schreiben vom 21. April 1997 enthalten ist, vertraten die Commissioners die Auffassung, dass die von CSC erbrachten Dienstleistungen nicht gemäß Artikel 13 Teil B der Sechsten Richtlinie von der Umsatzsteuer befreit seien.

12.

CSC erhob gegen diese Entscheidung Klage beim VAT and Duties Tribunal London. Das Tribunal entschied, dass sich die in Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befreiung auch auf notwendige Handlungen im Vorfeld der Ausgabe oder Übertragung von Wertpapieren erstrecke.

13.

Die Commissioners legten gegen diese Entscheidung Rechtsmittel beim High Court ein und machten geltend, die Befreiung gemäß Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie betreffe nur die Ausgabe eines Wertpapiers und erstrecke sich nicht auf Handlungen im Vorfeld, die ein Dritter im Auftrag des Emittenten erledige. CSC vertrat die Auffassung, ihre Dienstleistungen seien ein spezifischer und wesentlicher Teil der Ausgabe von Wertpapieren durch Sun Alliance und stellten daher Wertpapierumsätze im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 dar.

14.

Da nach Ansicht des High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Crown Office), die Entscheidung des ihm vorliegenden Rechtsstreits die Auslegung bestimmter Vorschriften der Sechsten Richtlinie erfordert, hat erbeschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Wie ist die in Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage vorgesehene Steuerbefreiung für „Umsätze, die sich auf Wertpapiere beziehen“, auszulegen? Insbesondere:

a) Umfasst der Ausdruck „Umsatz, der sich auf Wertpapiere bezieht“ nur Geschäftsvorgänge, bei denen sich die Rechte oder Pflichten der Parteien in Bezug auf das Wertpapier ändern?

b) Umfasst der Ausdruck „Umsätze - einschließlich der Vermittlung -, die sich auf Wertpapiere beziehen“ eine Dienstleistung, die darin besteht, potentielle Anleger zu informieren und ihre Anträge auf Ausgabe eines Wertpapiers entgegenzunehmen und zu bearbeiten (aber nicht die Vorbereitung und Zusendung der Urkunde über den Anspruch auf das Wertpapier umfasst), wenn diese Dienstleistung von einer Person, die keine Rechte oder Pflichten aus dem Wertpapier hat, an eine Person erbracht wird, die solche Rechte oder Pflichten hat?

Zur Vorabentscheidungsfrage

15.

Die Vorabentscheidungsfrage besteht aus zwei Teilen, deren erster die Auslegung des Ausdrucks „Umsätze, die sich auf Wertpapiere beziehen“ im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie und deren zweiter die Auslegung des Ausdrucks „Vermittlung, die sich auf Wertpapiere bezieht“ im Sinne dieser Bestimmung betrifft.

Zur Auslegung des Ausdrucks „Umsätze, die sich auf Wertpapiere beziehen“

Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

16.

CSC macht geltend, aus dem Urteil vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-2/95 (SDC, Slg. 1997, I-3017, Randnr. 68) ergebe sich, dass die fraglichen Dienstleistungen eigenständigen Charakter haben und für die von der Steuer befreiten Umsätze spezifisch und wesentlich sein müssten, um in den Anwendungsbereich des Artikels 13 Teil B Buchstabe d der Richtlinie zu fallen.

17.

Die Voraussetzung, dass die betreffenden Dienstleistungen für die von der Steuer befreiten Umsätze wesentlich sein müssten, stelle sicher, dass eine Dienstleistung nicht willkürlich von der Befreiung ausgeschlossen werde, etwa wegen der Art und Weise der Abrechnung und Preisfestsetzung durch den Leistungserbringer. Das Vorliegen der Voraussetzung, dass die fraglichen Dienstleistungen eigenständigen Charakter haben müssten, sei durch einen Vergleich festzustellen; die betreffenden Dienstleistungenmüssten im Vergleich zu anderen Dienstleistungen leicht bestimmbar sein, was auf die Frage hinauslaufe, ob die Dienstleistungen den Eindruck vermittelten, dass sie Teil einer Finanzdienstleistung und nicht irgendeiner anderen Dienstleistung seien. Die Voraussetzung, dass die fraglichen Dienstleistungen für die von der Steuer befreiten Umsätze spezifisch sein müssten, präzisiere die Voraussetzung der Wesentlichkeit, indem diejenigen Dienstleistungen ausgeschlossen würden, die wesentlich seien, aber nur in gewöhnlicher, technischer oder elektronischer Unterstützung bestünden, wie etwa die Vermietung von Computern an eine Bank, die Durchführung von Reinigungsdiensten, die Bereitstellung von Telefongeräten oder die Übernahme eines einfachen telefonischen Antwortdienstes.

18.

Die Regierung des Vereinigten Königreichs trägt vor, durch Artikel 13 Teil B Buchstabe d der Sechsten Richtlinie seien Finanzdienstleistungen und damit zusammenhängende Dienstleistungen von Vermittlern von der Steuer befreit worden, weil diese Dienstleistungen nicht für die Erhebung von Mehrwertsteuer geeignet seien, insbesondere wegen der in vielen Fällen bestehenden Schwierigkeit, die Gegenleistung für die Dienstleistung vom Austausch von Geld oder werthaltiger Unterlagen zu unterscheiden, der die Dienstleistung umfasse. Verwaltungsdienstleistungen - bei denen es im Allgemeinen keine Schwierigkeiten bei der Erhebung der Mehrwertsteuer gebe - blieben jedoch der Mehrwertsteuer unterworfen, selbst wenn sie im Rahmen von Finanzgeschäften erbracht würden. In den Fällen, in denen Verwaltungsdienstleistungen von der Steuer befreit werden müssten, sei dies außerdem ausdrücklich vorgeschrieben, wie in Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummern 1, 2 und 6 der Sechsten Richtlinie.

19.

Der Gerichtshof habe in Randnummern 66 und 73 des Urteils SDC festgestellt, dass unter dem Begriff „Wertpapierhandel“ Handlungen zu verstehen seien, die die rechtliche und finanzielle Lage zwischen den Parteien änderten, soweit es die Wertpapiere betreffe. Die Befreiung der „Umsätze, die sich auf Wertpapiere beziehen“, erstrecke sich daher offenkundig nicht auf Verwaltungsdienstleistungen der im Ausgangsverfahren von CSC an Sun Alliance erbrachten Art, da nichts, was CSC tue, die Rechtsstellung einer Person in Bezug auf ein Wertpapier ändere.

20.

Die Kommission führt aus, die Befreiung nach Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie hänge weder von der Identität oder der Stellung der Person oder der Einrichtung, die die Dienstleistung erbringe, noch davon ab, in welcher Weise die Dienstleistung ausgeführt werde (Urteil SDC, Randnrn. 31 bis 38). Es komme auch nicht darauf an, ob der Kunde wisse, dass eine Dienstleistung teilweise von einer anderen Person erbracht werde als der, mit der er eine rechtliche Beziehung begründe (Urteil SDC, Randnr. 59).

21.

Artikel 13 Teil B Buchstabe d der Sechsten Richtlinie habe den Zweck, bestimmte Finanzgeschäfte, darunter diejenigen, die sich unmittelbar auf Finanzierungsinstrumente bezögen, wegen der praktischen Schwierigkeiten, die ihre Besteuerung mit sich bringe, sowie der möglichen Rückwirkungen einer solchen Besteuerung auf die Kreditkostenvon der Mehrwertsteuer auszunehmen. Diese Erwägungen rechtfertigten es jedoch nicht, die Befreiung auf Dienstleistungen zu erstrecken, die von der Person in Anspruch genommen würden, die eine steuerbefreite Leistung erbringe. Die Kommission habe nicht den Eindruck, dass die im Ausgangsverfahren von CSC erbrachten Dienstleistungen, d. h. die Erteilung von Informationen an die Kundschaft und die Bearbeitung von Antragsformularen unter Ausschluss jeder Handlung, die die Rechte oder Pflichten in Bezug auf Wertpapiere berühren würde, als Umsätze, die sich auf Wertpapiere beziehen, im eigentlichen Sinn qualifiziert werden könnten.

Würdigung durch den Gerichtshof

22.

Zunächst ist festzustellen, dass dem vorlegenden Gericht zufolge die Formalitäten für die Ausgabe oder Übertragung der Wertpapiere, um die es im Ausgangsverfahren geht, nämlich der „units“ eines „unit trust“, nicht von CSC erledigt werden.

23.

Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie schließt nach seinem Wortlaut grundsätzlich nicht aus, dass ein Umsatz, der sich auf Wertpapiere bezieht, in verschiedene einzelne Dienstleistungen zerfällt, die dann Umsätze, die sich auf Wertpapiere beziehen, im Sinne dieser Bestimmung darstellen können und denen die dort vorgesehene Befreiung zugute kommen kann (vgl. in diesem Sinne in Bezug auf Umsätze im Überweisungsverkehr im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 3 der Sechsten Richtlinie Urteil SDC, Randnr. 64).

24.

Daher ist zu prüfen, welche Voraussetzungen für diese Befreiung bestehen und ob sie von Dienstleistungen, wie sie die CSC im Ausgangsverfahren erbringt, erfüllt werden.

25.

In Randnummer 66 des Urteils SDC hat der Gerichtshof entschieden, dass die Dienstleistungen eines Rechenzentrums, um als von der Steuer befreite Umsätze im Sinne des Artikels 13 Teil B Buchstabe d Nummern 3 und 5 qualifiziert zu werden, ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes sein müssen, das die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer in diesen Nummern beschriebenen Leistung erfüllt.

26.

Für die Umsätze im Überweisungsverkehr im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 3 der Sechsten Richtlinie ergibt sich daraus, dass die erbrachten Dienstleistungen eine Übertragung von Geldern bewirken und zu rechtlichen und finanziellen Änderungen führen müssen. Die befreite Dienstleistung im Sinne der Sechsten Richtlinie ist von der Erbringung einer rein materiellen oder technischen Leistung, wie sie etwa vorliegt, wenn einer Bank ein EDV-System zur Verfügung gestellt wird, zu unterscheiden. Zu diesem Zweck muss das nationale Gericht insbesondere den Umfang der Verantwortung des Rechenzentrums gegenüber den Banken untersuchen, namentlich die Frage, ob diese Verantwortung auf technische Aspekte beschränkt ist oder sich auf spezifische und wesentliche Elemente der Umsätze erstreckt (Urteil SDC, Randnr. 66).

27.

Dieser Befund gilt grundsätzlich entsprechend für die Umsätze, die sich auf Wertpapiere beziehen, im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie.

28.

Wie der Gerichtshof in Randnummer 73 des Urteils SDC ausgeführt hat, umfasst der Wertpapierhandel nämlich Handlungen, die die rechtliche und finanzielle Lage zwischen den Parteien ändern und den Handlungen im Überweisungs- oder Zahlungsverkehr ähnlich sind. Daher wird die Erbringung einer rein materiellen, technischen oder administrativen Leistung, die nicht zu Änderungen in rechtlicher oder finanzieller Hinsicht führt, nicht von der Befreiung gemäß Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie erfasst.

29.

Diese Feststellung wird zunächst durch den ausdrücklichen Ausschluss der Verwahrung und der Verwaltung der Wertpapiere von der Befreiung nach Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie bestätigt; bei ihnen handelt es sich nämlich gerade um Umsätze, die keine Änderung der rechtlichen und finanziellen Lage zwischen den Parteien bewirken.

30.

Mit der Einführung einer Ausnahme von der in dieser Bestimmung über Wertpapierumsätze vorgesehenen Steuerbefreiung werden durch den Satzteil „mit Ausnahme der Verwahrung und der Verwaltung“ in der betreffenden Vorschrift die Umsätze, die sich auf die Verwahrung und die Verwaltung beziehen, der allgemeinen Regelung der Sechsten Richtlinie unterstellt, wonach alle steuerpflichtigen Umstände bis auf die ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen der Mehrwertsteuer unterliegen sollen. Folglich fallen Dienstleistungen administrativer Art, die nicht die rechtliche und finanzielle Lage zwischen den Parteien ändern, nicht unter die Befreiung gemäß Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5.

31.

Sodann ergibt sich, wie der Gerichtshof in Randnummer 70 des Urteils SDC festgestellt hat, schon aus dem Wortlaut des Artikels 13 Teil B Buchstabe d Nummern 3 bis 5 der Sechsten Richtlinie, dass keiner der dort beschriebenen Umsätze Informationstätigkeiten im finanzwirtschaftlichen Bereich betrifft. Diese Umsätze können daher nicht nach dieser Bestimmung von der Steuer befreit werden.

32.

Schließlich lässt sich aus dem Umstand allein, dass ein Element für die Bewirkung eines befreiten Umsatzes unerlässlich ist, nicht die Befreiung dieses Leistungselements herleiten.

33.

Aus alledem folgt, dass der Ausdruck „Umsätze, die sich auf Wertpapiere beziehen“ Umsätze betrifft, die geeignet sind, Rechte und Pflichten der Parteien in Bezug auf Wertpapiere zu begründen, zu ändern oder zum Erlöschen zu bringen.

Zur Auslegung des Ausdrucks „Vermittlung, die sich auf Wertpapiere bezieht“

Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

34.

Nach Ansicht von CSC fallen die von ihr an Sun Alliance erbrachten Dienstleistungen unter den Ausdruck „Vermittlung, die sich auf Wertpapiere bezieht“, im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie und erfüllen die Voraussetzungen für die dort vorgesehene Befreiung. Der Vergleich der verschiedenen Sprachfassungen zeige, dass sich die meisten von ihnen - anders namentlich die englische Fassung - auf die Erbringung einer Dienstleistung durch eine Person bezögen, die schlicht als Vermittler zwischen zwei Parteien auftrete. Das sei z. B. der Sinn des französischen Ausdrucks „négociant“, des deutschen „Vermittlung“ und des niederländischen „bemiddeling“. Da sie offenkundig als Vermittler zwischen dem Anleger und Sun Alliance handele, seien die von ihr an Sun Alliance erbrachten Dienstleistungen folglich von der Mehrwertsteuer befreit.

35.

Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht geltend, das Wort „Vermittlung“ in Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie sei ein Begriff des Gemeinschaftsrechts. Der Vergleich der verschiedenen Sprachfassungen der Sechsten Richtlinie, der ergebe, dass Ausdrücke wie - in der deutschen Fassung - „Vermittlung“ verwendet würden, lasse erkennen, dass es sich dabei um eine Leistung handele, die von einer Mittelsperson erbracht werde. Diese Dienstleistung werde ihrer Natur nach von einer zwischen potentiellen Beteiligten an einem bestimmten Geschäft stehenden Mittelsperson erbracht. Dazu gehörten einem Finanzinstitut erbrachte administrative Dienstleistungen wie diejenigen der CSC an Sun Alliance eindeutig nicht, insbesondere, wenn diese Rolle dem Kunden des Finanzinstituts unbekannt sei.

36.

Die Kommission ist der Ansicht, der Ausdruck „Vermittlung“ in Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie beziehe sich ausschließlich auf die Tätigkeiten von Mittelspersonen, deren Rolle darin bestehe, im Namen einer der Parteien auf den Abschluss eines Geschäftes hinzuwirken und dessen Konditionen auszuhandeln. Der Beitrag solcher Mittelspersonen zum Geschäft könne als ebenso wichtig angesehen werden wie derjenige der Parteien selbst und verursache ähnliche Schwierigkeiten bei der Besteuerung. Die Frage, ob im Ausgangsverfahren die Tätigkeiten von CSC als Tätigkeiten einer Mittelsperson betrachtet werden könnten, sei im Wesentlichen eine Tatsachenfrage, deren Untersuchung Sache des vorlegenden Gerichts sei. Es sei jedoch zu bezweifeln, dass die Erteilung von Informationen sowie die Entgegennahme und Bearbeitung von Anträgen als Mittlertätigkeiten im eigentlichen Sinne angesehen werden könnten.

Würdigung durch den Gerichtshof

37.

Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie enthält keine Definition des Ausdrucks „Vermittlung, die sich auf Wertpapiere bezieht“ im Sinne dieser Vorschrift.

38.

Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie ist zu entnehmen, dass die Worte „einschließlich der Vermittlung“ nicht den wesentlichen Inhalt der in dieser Bestimmung vorgesehenen Befreiung definieren, sondern deren Anwendungsbereich auf die Vermittlungstätigkeiten ausdehnen sollen.

39.

Ohne dass die genaue Bedeutung des Begriffes „Vermittlung“ ermittelt werden müsste, der auch in anderen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie, und zwar in Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummern 1 bis 4, auftaucht, ist festzustellen, dass sich dieser Begriff im Rahmen der Nummer 5 auf eine Tätigkeit bezieht, die von einer Mittelspreson ausgeübt wird, die nicht den Platz einer Partei eines Vertrages über ein Finanzprodukt einnimmt und deren Tätigkeit sich von den typischen vertraglichen Leistungen unterscheidet, die von den Parteien solcher Verträge erbracht werden. Denn die Vermittlungstätigkeit ist eine Dienstleistung, die einer Vertragspartei erbracht und von dieser als eigenständige Mittlertätigkeit vergütet wird. Sie kann u. a. darin bestehen, der Vertragspartei die Gelegenheiten zum Abschluss eines solchen Vertrages nachzuweisen, mit der anderen Partei Kontakt aufzunehmen oder im Namen und für Rechnung des Kunden über die Einzelheiten der gegenseitigen Leistungen zu verhandeln. Zweck dieser Tätigkeit ist es also, das Erforderliche zu tun, damit zwei Parteien einen Vertrag schließen, ohne dass der Vermittler ein Eigeninteresse am Inhalt des Vertrages hat.

40.

Dagegen handelt es sich nicht um eine Vermittlungstätigkeit, wenn eine der Vertragsparteien einen Subunternehmer mit einem Teil der mit dem Vertrag verbundenen Sacharbeit betraut, wie der Erteilung von Informationen an die andere Partei oder der Annahme und Bearbeitung der Anträge auf Zeichnung der Wertpapiere, die Gegenstand des Vertrages sind. In einem solchen Fall nimmt der Subunternehmer denselben Platz ein wie der Anbieter des Finanzprodukts und ist daher keine Mittelsperson, die nicht den Platz einer Vertragspartei einnimmt, im Sinne der fraglichen Bestimmung.

41.

Nach alledem ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass

- der Ausdruck „Umsätze, die sich auf Wertpapiere beziehen“ Umsätze betrifft, die geeignet sind, Rechte und Pflichten der Parteien in Bezug auf Wertpapiere zu begründen, zu ändern oder zum Erlöschen zu bringen,

- der Ausdruck „Vermittlung, die sich auf Wertpapiere bezieht“ keine Dienstleistungen betrifft, die sich auf die Erteilung von Informationen über ein Finanzprodukt und gegebenenfalls die Annahme und Bearbeitung der Anträge auf Zeichnung der entsprechenden Wertpapiere beschränken und nicht deren Ausgabe umfassen.

Kosten

42.

Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei demvorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Crown Office) mit Beschluss vom 1. Juni 2000 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 13 Teil B Buchstabe d Nummer 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass

- der Ausdruck „Umsätze, die sich auf Wertpapiere beziehen“ Umsätze betrifft, die geeignet sind, Rechte und Pflichten der Parteien in Bezug auf Wertpapiere zu begründen, zu ändern oder zum Erlöschen zu bringen,

- der Ausdruck „Vermittlung, die sich auf Wertpapiere bezieht“ keine Dienstleistungen betrifft, die sich auf die Erteilung von Informationen über ein Finanzprodukt und gegebenenfalls die Annahme und Bearbeitung der Anträge auf Zeichnung der entsprechenden Wertpapiere beschränken und nicht deren Ausgabe umfassen.

Jann La Pergola

Sevón

Wathelet

Timmermans

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. Dezember 2001.

Der Kanzler

Der Präsident der Fünften Kammer

R. Grass