Gesetzesmaterialien zu Art. 3 MWSTG 2010

Parlamentarische Beratungen

Die parlamentarischen Beratungen des MWSTG 2010 aus dem Jahr 2009 finden sich hier: Parlamentarische Beratungen

Gesetzesfahne

Die Gesetzesfahne zeigt die durch das Parlament diskutierten Änderungen des Gesetzestextes verglichen mit dem Botschaftstext.

Botschaft 2008

Unten finden sie den Botschaftstext zu dieser Bestimmung. Die ganze Botschaft finden sie unter diesem Link: Botschaft 2008

BBl 2008, S. 6939 ff.

Dieser Artikel fasst die wichtigsten Begriffe des Mehrwertsteuerrechts zusammen und definiert sie. Bisher waren diese Begriffe oft nicht klar bestimmt und über das ganze Gesetz verteilt.

Buchstabe a definiert den Begriff des Inlandes im Sinne der MWST. Um eine einheitliche Praxis zwischen MWST- und dem Zollrecht sicherzustellen, wird dabei auf die Umschreibung im Zollgesetz abgestellt. Inhaltlich deckt sich diese Definition mit Artikel 3 Absätze 1 und 2 MWSTG.

Buchstabe b fasst die heute in den Artikeln 6 Absatz 3 und 73 Absatz 2 MWSTG vorhandenen Definitionen von Gegenständen zusammen. Diese Definition entspricht dem schweizerischen Sachbegriff des Sachenrechts, welcher ebenfalls immaterielle Werte und Rechte vom Begriff der Sache ausschliesst, jedoch die Naturkräfte, welche der rechtlichen Herrschaft unterworfen werden können, den Sachen gleichstellt (Art. 713 ZGB). Da eine Lieferung ausschliesslich in zusammenhang mit Gegenständen erfolgen kann, dient diese Definition der Abgrenzung von Lieferungen und Dienstleistungen.

Buchstabe c definiert die Leistung, ein Begriff, dem im Mehrwertsteuerrecht eine zentrale Bedeutung zukommt. Die Leistung im Inland ist das Steuerobjekt der MWST und damit der Oberbegriff für Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, welche der MWST unterliegen. Die Leistung ist – neben dem Entgelt – das zentrale Tatbestandsmerkmal des Steuerobjekts der Inland- und der Bezugsteuer. Die bei der Definition des Begriffs der Leistung verwendeten Abgrenzungskriterien bilden gleichzeitig die Grenzen der fiskalischen Zugriffsmöglichkeit des Staates gegenüber jedem Einzelnen. Daher ist dieser Begriff zumindest in den Grundzügen zu definieren. Der Begriff der Leistung beinhaltet folgende Kernelemente:

– Die Einräumung … an eine Drittperson soll zum Ausdruck bringen, dass der wirtschaftliche Wert vom Leistungserbringer oder der Leistungserbringerin an den Leistungsempfänger oder die Leistungsempfängerin oder in dessen oder deren Auftrag einer Drittperson auf die unterschiedlichste Art und Weise zugeführt werden kann. Es muss eine Übertragung stattfinden. Gewisse Anforderungen hat dieses «Einräumen» zu erfüllen: So ist nur der aktive, willentliche Vorgang ein Einräumen. Bei der gesetzlichen Nachfolge im Rahmen einer Erbschaft liegt beispielsweise aus Sicht der MWST keine Leistung vor.

– eines verbrauchsfähigen wirtschaftlichen Wertes umfasst alles, was in irgendeiner Form einer Bedürfnis- oder Nachfragebefriedigung dient. Neben Warenlieferungen und herkömmlichen Dienstleistungen fallen auch die Übertragung von abstrakten Gütern wie Goodwill und Know-how unter den Begriff des wirtschaftlichen Wertes. Ebenfalls einen wirtschaftlichen Wert hat die Verpflichtung zur Duldung oder zur Unterlassung. Der wirtschaftliche Vorteil muss nicht einen Vermögensvorteil zur Folge haben. Beispielsweise ist Inhalt des Auftragsverhältnisses gemäss Artikel 394 ff. des Obligationenrechts das blosse Tätigwerden im Interesse des Auftraggebers oder der Auftraggeberin. Auch wenn lege artis vorgegangen worden ist, kann dies durchaus eine Verminderung des Vermögens nach sich ziehen (Niederlage in einem Forderungsprozess), trotzdem enthält die Tätigkeit des Beauftragten oder der Beauftragten einen wirtschaftlichen Wert. Das Kriterium der Verbrauchsfähigkeit ist in weitem Sinne zu verstehen. Als nicht verbrauchsfähig im mehrwertsteuerlichen Sinne gelten der Boden und Geld. Beide Güter erleiden durch deren Nutzung keine Reduktion der Substanz. Selbst beispielsweise Kunstwerke und Kunstschätze, deren monetärer Wert mit Ablauf der Zeit häufig zunimmt, erleiden durch den Alterungsprozess eine Substanzreduktion und müssen von Zeit zu Zeit restauriert werden. Darin zeigt sich ihre Verbrauchsfähigkeit. Als wirtschaftlich ist ein Wert dann zu bezeichnen, wenn sich dieser in irgendeiner Form in Geld ausdrücken lässt. Durch die Aufnahme der Entgeltserwartung in die Definition der Leistung wird das Kriterium der Wirtschaftlichkeit des Wertes jedoch von ersterer überlagert: die blosse Entgeltserwartung macht einen Wert zu einem wirtschaftlichen.

– in Erwartung eines Entgelts: Die Entgeltlichkeit ist das zentrale Merkmal der Leistung im mehrwertsteuerlichen Sinne. Unstrittig ist die Leistung Steuerobjekt der MWST. Diese Aussage ist allerdings nur unter der Bedingung richtig, dass es sich um eine entgeltliche Leistung handelt – unentgeltliche Leistungen unterliegen nicht der Steuer. Somit ist es begrifflich nicht denkbar, eine Leistung im mehrwertsteuerlichen Sinne ohne das Merkmal der Entgeltlichkeit zu definieren. Wollte man das tun, wäre der Begriff der Leistung nicht mehr ein mehrwertsteuerspezifischer, und er wäre seines Erklärungsgehaltes entleert. Allenfalls könnte eine mehrwertsteuerspezifi-sche Definition darin gesehen werden, dass vom Begriff der Leistung, wie er dem Obligationenrecht zugrunde liegt, die Zahlungsmittel ausgenommen würden, da diese als Entgelt nicht als eigene Leistung betrachtet werden, sondern die Bemessungsgrundlage darstellen. Aufgrund des tatsächlichen Auseinanderfallens von Steuerobjekt und Bemessungsgrundlage bei der MWST muss die Definition der mehrwertsteuerlichen Leistung diese Einheit gerade herstellen, um die Leistung begrifflich zum Gegenstand der Steuer machen zu können. Daraus folgt, dass nicht jedes intendierte Einräumen eines wirtschaftlichen Vorteils eine Leistung im mehrwertsteuerlichen Sinne darstellen kann. Bei der Beurteilung, ob eine Leistung entgeltlich ist oder nicht, ist jedoch unerheblich, ob dafür im Einzelfall tatsächlich ein Entgelt vereinnahmt werden konnte oder nicht. Als entgeltlich und somit als Leistungen im mehrwertsteuerlichen Sinne gelten alle Leistungen, welche in Erwartung eines Entgeltes erbracht wurden. Nur wo die Entgeltserwartung von vornherein wegfällt, handelt es sich um eine unentgeltliche Leistung und somit nicht um eine Leistung im mehrwertsteuer-lichen Sinne. Die Abgabe einer Gratiszeitung ist deshalb zum Beispiel keine Leistung im mehrwertsteuerlichen Sinn an die Leser und Leserinnen, weil von ihnen kein Entgelt dafür erwartet wird. Es handelt sich dabei um eine (Teil-)Leistung an die Werbekunden und -kundinnen. Der Versand von «Gratis»-Karten oder die Aufführung eines Theaters mit anschliessender Kollekte stellen jedoch mindestens in gewissem Umfang Leistungen im mehrwertsteuerlichen Sinn dar, da die Leistung in Erwartung eines Entgeltes erbracht wird. Andernfalls ginge die Leistungserbringung voll zu Lasten des Leistungserbringers oder der Leistungserbringerin, was wohl mehrheitlich den sofortigen Verzicht auf diese Tätigkeit nach sich ziehen würde.

Buchstabe d definiert den Begriff der Lieferung und übernimmt dazu den bereits heute in Artikel 6 Absätze 1 und 2 MWSTG niedergelegten Wortlaut. An der Qualifikation der Gebrauchsüberlassung (Miete, Leasing und Pacht) als Lieferungen wird festgehalten (vgl. Ziff. 1.7.4.1).

Buchstabe e: Um die lückenlose Besteuerung sämtlicher Leistungen sicherzustellen, muss der Begriff der Dienstleistung komplementär zum Begriff der Lieferung definiert sein. Inhaltlich entspricht diese Bestimmung Artikel 7 MWSTG. In Ziffer 1 wurde einzig der Konzessiv-Nebensatz weggelassen. Da die fehlende Verbriefung der überlassenen Rechte keinen Zusammenhang mit der Qualifikation als Dienstleistung hat, verursacht diese Einräumung lediglich Unsicherheiten.

Buchstabe f beschränkt sich auf die Definition der qualitativen Seite des Entgelts als Vermögenswert, der für den Erhalt einer Leistung aufgewendet wird. Das Entgelt kann sowohl vom Leistungsempfänger oder der Leistungsempfängerin als auch an seiner oder ihrer Stelle von einer Drittperson herrühren. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass Zahlungen von Drittpersonen ausschliesslich dann zum Entgelt zu rechnen sind, wenn sie eine innere wirtschaftliche Verknüpfung zur empfangenen Leistung aufweisen. Eine innere wirtschaftliche Verknüpfung ist dann gegeben, wenn die Zahlungen von Drittpersonen im überwiegenden Interesse des Leistungsempfängers oder der Leistungsempfängerin ausgerichtet werden. Das Interesse des Leistungsempfängers oder der Leistungsempfängerin ist überwiegend, wenn er oder sie eine bestimmte Art einer Leistung zu einem generell günstigeren Preis beziehen kann oder überhaupt eine bestimmte Art einer Leistung dadurch erst angeboten werden kann. Hingegen ist das Interesse des Leistungserbringers oder der Leistungserbringerin an der Zahlung überwiegend, wenn er oder sie dadurch erst in die Lage versetzt wird, eine bestimmte Art einer Leistung zu marktfähigen Preisen anzubieten, welche der Verbraucher oder die Verbraucherin aber grundsätzlich zu denselben Marktpreisen anderweitig auch ohne die Zahlungen der Drittperson erhalten hätte. In diesem Fall fehlt es an der inneren wirtschaftlichen Verknüpfung der Zahlung mit einem konkreten Leistungsaustauschverhältnis, weshalb es sich gemäss vorliegender Definition nicht um Entgelte, sondern um Subventionen oder Spenden handelt und diese folglich auch nicht Teil der Bemessungsgrundlage sein können.

Unerheblich für die Beurteilung des Vorhandenseins einer inneren wirtschaftlichen Verknüpfung ist, ob die Zahlungen der Drittperson an den Leistungserbringer/die Leistungserbringerin oder an den Leistungsempfänger/die Leistungsempfängerin ausgerichtet werden. Die quantitative Definition des Entgelts, welche den Umfang der Bemessungsgrundlage bestimmt, ist in Artikel 24 E-MWSTG geregelt. Dass Spenden dem Entgelt gleichzustellen sind, wenn sie unmittelbar den einzelnen Umsätzen des Empfängers oder der Empfängerin zugeordnet werden können, wurde nicht mehr übernommen, da diese Formulierung an sich falsch ist. Eine Spende charakterisiert sich gerade dadurch, dass sie ohne konkrete und direkte Gegenleistung erfolgt. Entgelt kann nur sein, was im Rahmen eines Leistungsaustauschs erfolgt. Nur wenn der «Spender» oder die «Spenderin» die Spende erkennbar um Erlangung der Leistung willen erbringt, kann – und muss – von Entgelt gesprochen werden (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C.506/2007, Air-Glaciers SA). Dann handelt es sich definitionsgemäss aber gerade nicht um eine Spende. Steuerbares Entgelt sind unter diesen Umständen zum Beispiel Zuschüsse von Sponsoren für Werbeleistungen. Eine Spende charakterisiert sich grundsätzlich dadurch, dass der Spender oder die Spenderin im Gegenzug zur Spende keine Gegenleistung erwartet, dass beim Spender oder der Spenderin ein sogenannter animus donandi (Schenkungswille) der Grund für die Spende ist.

Buchstabe g definiert die hoheitlichen Tätigkeiten negativ als jene Tätigkeiten der Gemeinwesen, welche nicht unternehmerischer bzw. nach bundesgerichtlicher Recht-sprechung nicht marktfähiger Natur sind. Aufgrund ihrer Natur fallen alle diese Tätigkeiten nicht in den Anwendungsbereich der MWST. Es handelt sich bei diesen Tätigkeiten weder um Leistungen im Sinne der MWST, noch handelt es sich bei damit allenfalls in Zusammenhang stehenden Beiträgen, Abgaben oder Gebühren um Entgelte im Sinne einer Gegenleistung. Auf den Aufwendungen, welche den Gemeinwesen zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Tätigkeit erwachsen, ist somit auch kein Vorsteuerabzug möglich. Eine positive Umschreibung der als hoheitlich geltenden Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche gestaltet sich aufgrund deren Vielfalt und des sich laufend verändernden Staatsverständnisses als äusserst schwierig. Zudem muss, was die Tätigkeiten der Gemeinwesen betrifft, der Begriff komplementär zu den steuerbaren unternehmerischen Tätigkeiten sein, will man nicht eine zusätzliche Kategorie von Tätigkeiten der Gemeinwesen schaffen. Die in Artikel 23 MWSTG enthaltene nicht abschliessende Aufzählung von Tätigkeiten der Gemeinwesen, welche als nicht hoheitlich, sondern unternehmerisch gelten, wird ergänzt durch die aktuellsten Praxisänderungen in die Verordnung überführt.

Bei dieser Begriffsdefinition handelt es sich um eine mehrwertsteuerspezifische Definition hoheitlicher Tätigkeit, welche namentlich mit den Begriffen der hoheitlichen Tätigkeit im Privatrecht und im öffentlichen Recht nicht identisch ist. Beispielsweise sind Tätigkeiten, welche aufgrund eines Monopols ausgeübt werden, mehrwertsteuerlich als nicht hoheitliche Tätigkeiten zu betrachten, wenn diese unternehmerischer Natur sind. Neu wurde die Ausübung von Funktionen der

Schiedsgerichtsbarkeit bei den objektiven Steuerausnahmen (Art. 21 Abs. 2 Ziff. 29 E-MWSTG) geregelt, da es sich bei der Schiedsgerichtsbarkeit um eine rein zivilrechtliche Angelegenheiten handelt und keinerlei Bezug zu hoheitlicher Tätigkeit ersichtlich ist.

Buchstabe h definiert den Begriff der nahestehenden Personen im Sinne der MWST, welcher – die liierten Unternehmen betreffend – vom Begriff bei den direkten

Steuern abweicht. Hierbei handelt es sich um die Festschreibung geltender Praxis im Gesetz. Künftig gelten jedoch nicht bloss die Inhaber und Inhaberinnen von Beteiligungsrechten, sondern ebenfalls die ihnen nahestehenden Personen als dem Leistungserbringer oder der Leistungserbringerin nahestehend.