Gesetzesmaterialien zu Art. 8 MWSTG 2010

Parlamentarische Beratungen

Die parlamentarischen Beratungen des MWSTG 2010 aus dem Jahr 2009 finden sich hier: Parlamentarische Beratungen

Gesetzesfahne

Die Gesetzesfahne zeigt die durch das Parlament diskutierten Änderungen des Gesetzestextes verglichen mit dem Botschaftstext.

Botschaft 2008

Unten finden sie den Botschaftstext zu dieser Bestimmung. Die ganze Botschaft finden sie unter diesem Link: Botschaft 2008

BBl 2008, S. 6944 ff.

Absatz 1: Im Unterschied zum geltenden Recht gilt neu als Grundregel (sogenannte Auffangregel) das Empfängerortprinzip. Dienstleistungen, die im Gesetz nicht ausdrücklich anders geregelt werden, gelten daher als an dem Ort erbracht, an dem der Empfänger oder die Empfängerin den Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine Betriebsstätte hat, für welche die Dienstleistungen erbracht werden, oder, wenn er oder sie keinen solchen Sitz oder keine solche Betriebsstätte hat, den Wohnort oder den Ort, von dem aus er oder sie tätig wird. In dieser Frage findet im Mehrwertsteuerrecht ein eigentlicher Entwicklungsprozess statt, der auf einen sukzessiven Rückzug des Erbringerortprinzips (welches heute die Auffangregel darstellt, vgl. Art. 14 Abs. 1 MWSTG) hinausläuft. So sind beispielsweise auf dem Verordnungsweg Dienstleistungen im Bereich des Aircraft Managements dem Empfängerortprinzip unterstellt worden. Gemäss Praxisänderung vom 1. Januar 2007 sind neu zudem Analyseleistungen am Empfängerort steuerbar. Gefordert wird dies auch für Leistungen der Flugsicherung. Ab 2010 gilt in der EU für Leistungen zwischen steuerpflichtigen Personen ebenfalls das Empfängerortprinzip als Auffangtatbestand. In Anbetracht dessen, dass schon heute die Grundregel weitgehend durch die enumerative (und sich ausweitende) Ausnahmeregelung zugunsten des Empfängerorts (Art. 14 Abs. 3 MWSTG) durchbrochen ist, kommt dem Wechsel mehr Signalwirkung und nicht eine dramatische wirtschaftliche Bedeutung zu. Die Änderung bewirkt, dass das dem Mehrwertsteuersystem zugrunde liegende Bestimmungslandprinzip besser umgesetzt und damit letztlich eine Versteuerung am Ort des Verbrauchs erreicht wird.

Absatz 2 Buchstabe a: Da der Empfängerort künftig als Auffangtatbestand dient, müssen neu die Dienstleistungen bestimmt werden, welche am Erbringerort besteuert werden. Buchstabe a umschreibt diese Dienstleistungen abstrakt als Dienstleistungen, die typischerweise unmittelbar gegenüber physisch anwesenden natürlichen Personen erbracht werden. Auszugehen ist von der Feststellung, dass bestimmte Dienstleistungen (z.B. Haare schneiden, Pflegeleistungen) ausschliesslich in Anwesenheit von natürlichen Personen erbracht werden können, welche die Dienstleistung entgegennehmen. Der Verbrauch der Dienstleistung erfolgt somit am Ort, wo der Dienstleistende tätig wird. Aufgrund des Prinzips der Besteuerung am Ort des Verbrauchs ist somit die Dienstleistung am Ort, wo diese ausgeführt wird, steuerbar. Damit Dienstleistungen gleichen Gehalts am gleichen Ort steuerbar sind, bedarf es einer gewissen Schematisierung. Diese Schematisierung wird durch den Zusatz typischerweise und dem Konzessivsatz auch wenn solche Dienstleistungen ausnahmsweise aus der Ferne erbracht werden zum Ausdruck gebracht. Nicht die im Einzelfall einem bestimmten Leistungsempfänger oder einer bestimmten Leistungsempfängerin gegenüber konkret erbrachte Dienstleistung bedarf zu ihrer Erbringung notwendigerweise der Anwesenheit des Empfängers oder der Empfängerin, sondern Dienstleistungen, welche typischerweise, das heisst im idealtypischen Fall, die Anwesenheit des Empfängers oder der Empfängerin erfordern, fallen unter diese Bestimmung, und zwar gerade auch dann, wenn sie im Einzelfall aus der Ferne erbracht worden sind. Dem Abgrenzungskriterium der erforderlichen Anwesenheit des Dienstleistungsempfängers oder der Dienstleistungsempfängerin wird dadurch zwar teilweise seine Abgrenzungsschärfe genommen, jedoch mit dem Ergebnis einer örtlichen Anknüpfung unabhängig von der Art und Weise der Dienstleistungserbringung. Eine weitere Schwierigkeit kann sich daraus ergeben, dass der Leistungserbringer oder die Leistungserbringerin in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle an seinem oder ihrem Sitz oder Wohnsitz tätig wird, und nur gelegentlich die Dienstleistung auch mobil an einem anderen Ort gegenüber dem dort anwesenden Leistungsempfänger oder der Leistungsempfängerin erbringt. Zu denken ist hierbei zum Beispiel an einen Arzt, welcher sporadisch Hausbesuche durchführt. Diesem Problem wird dadurch begegnet, dass die Dienstleistung nicht am Ort der jeweiligen tatsächlichen Ausführung, sondern schematisiert am Sitz oder Wohnsitz des Erbringers oder der Erbringerin zu versteuern ist.

Aus Gründen der Rechtssicherheit und Klarheit werden verschiedene Dienstleistungskategorien aufgelistet, welche als idealtypische Dienstleistungen regelmässig die Anwesenheit des Dienstleistungsempfängers oder der Dienstleistungsempfängerin erfordern. Auf eine abschliessende Aufzählung wird verzichtet, weil andernfalls die Gefahr bestünde, dass Dienstleistungen, welche gemessen am Kriterium der Besteuerung am Ort ihres Verbrauchs offensichtlich nicht am Empfängerort zu besteuern wären, nur aufgrund des Auffangtatbestandscharakters des Empfängerorts dort anzuknüpfen wären. Unter umgekehrten Vorzeichen hat sich diese Problematik im geltenden Recht namentlich betreffend Aircraftmanagement-Leistungen, Analyseleistungen und Flugsicherungsleistungen gezeigt, wobei mit Ausnahme der Flugsicherungsleistungen diese Leistungen auf dem Verordnungsweg bzw. mittels Praxisänderung dem Empfängerort unterstellt wurden.

Damit fallen Dienstleistungen erst unter den Auffangtatbestand von Absatz 1, wenn sie unter keinen Buchstaben von Absatz 2 subsumiert werden können.

Absatz 2 Buchstabe b: Dienstleistungen von Reisebüros und Organisatoren von Veranstaltungen sind für ihre eigenen Dienstleistungen und für bezogene Leistungen Dritter im Inland am Erbringerort steuerbar, können aber Leistungen Dritter, welche von diesen im Ausland bewirkt werden, auch in eigenem Namen unversteuert ihren Kunden und Kundinnen in Rechnung stellen (Art. 23 Abs. 2 Ziff. 10 E-MWSTG). Dies entspricht der bisherigen gesetzlichen Regelung. Zudem wird die Praxis der ESTV gesetzlich verankert, wonach die Reisebüroregelung auch beim Organisator von Veranstaltungen angewendet wird. Weil es sich bei diesen Dienstleistungen nicht um Leistungen handelt, welche idealtypisch die Anwesenheit des Dienstleistungsempfängers oder der Dienstleistungsempfängerin erfordern, konnten diese nicht in Buchstaben a angefügt werden, sondern erhielten einen eigenen Buchstaben.

Die übrigen Leistungsorte erfahren gegenüber dem heutigen Gesetz nur wenige Änderungen: Absatz 2 Buchstaben c–h entsprechen weitgehend Artikel 14 Absatz 2 Buchstaben a–e MWSTG.

Absatz 2 Buchstabe c: Angefügt wurde das Gebiet der Kultur (grammatikalische Ergänzung). Wissenschaftliche Leistungen unterliegen neu der Grundregel (Empfängerortprinzip), damit hier keine Abgrenzungsprobleme zu Beratung und Analyse entstehen. Die ab 2010 in der EU in Kraft tretende neue Regelung des Ortes der Dienstleistung sieht im Verkehr zwischen Steuerpflichtigen ebenfalls das Empfängerortprinzip vor. Unterrichtsleistungen sind grundsätzlich von der Steuer ausgenommen. Wenn für ihre Versteuerung optiert wird, unterstehen sie wie bisher der Besteuerung an dem Ort, an dem der oder die Leistende tätig wird (Tätigkeitsortsprinzip). Eine Ausnahme hiervon bildet der Fernunterricht. In Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht gilt dieser künftig als am Ort des Sitzes des Empfängers oder der Empfängerin erbracht. Da es sich dabei um eine elektronische Dienstleistung handelt, fällt diese auch ohne explizite Ausnahme unter den Auffangtatbestand des Empfängerortprinzips.

Absatz 2 Buchstabe d: Ab 2010 wird die EU gastgewerbliche Leistungen ebenfalls am Tätigkeitsort und nicht mehr am Erbringerort besteuern. Dies hat vor allem Auswirkungen auf die mobile Gastronomie (Partyservice, Catering etc.), wo der Erbringerort und der Tätigkeitsort regelmässig auseinander fallen. Um bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen potenzielle Doppelbesteuerungen zu vermeiden, wurde dieser Anknüpfungspunkt des künftigen EU-Rechts übernommen.

Absatz 2 Buchstabe e: Für die Umschreibung des Ortes für Beförderungsleistungen wurde weitgehend der Wortlaut von Artikel 46 MwStSystRL übernommen. Während sich inhaltlich damit nichts ändert, tritt mit der neuen Formulierung die Kompatibilität zum Gemeinschaftsrecht klar hervor. Ausserdem kann die heutige, sprachlich unschöne und unkorrekte Formulierung, welche an das «Land» anknüpft, vermieden werden. Wie heute befindet sich der Ort einer Personen- oder Güterbeförderung dort, wo die zurückgelegte Strecke liegt. Demzufolge ist bei grenzüberschreitenden Beförderungen grundsätzlich zwischen einem steuerbaren und einem nicht steuerbaren Leistungsteil zu unterscheiden.

Absatz 2 Buchstabe f: Die Nebentätigkeiten des Logistikgewerbes sollen nicht nur Nebentätigkeiten im Zusammenhang mit einer Güterbeförderung umfassen, sondern auch bei der Personenbeförderung. Deshalb wurde der Buchstabe um das Abfertigen ergänzt. Darunter fällt insbesondere das sogenannte «ground handling» an Flughäfen, also das Abfertigen der Flugpassagiere (Check-in etc.) und der Flugzeuge. Sofern solche Leistungen lediglich Nebenleistungen zu einer Güter- oder Personenbeförderung darstellen, teilen sie hingegen deren umsatzsteuerliches Schicksal.

Absatz 2 Buchstabe g wurde um die Vermittlung und Begutachtung des Grundstückes ergänzt. Für diese Tätigkeiten soll im Sinne einer Klarstellung ebenfalls der Ort, an dem das Grundstück gelegen ist, als Anknüpfungspunkt gelten. Ebenfalls werden neu die Bauaufsichtsleistungen explizit genannt. Dies entspricht der heutigen Praxis. Neu werden allerdings Überwachungsleistungen von Gebäuden und Grundstücken sowie Beherbergungsleistungen ebenfalls am Belegenheitsort besteuert. Die Anknüpfung der Beherbergungsleistung an das Grundstück stellt eine Angleichung an die in der EU ab 2010 geltenden Änderungen des Dienstleistungsorts dar und hat kaum Auswirkungen auf die Praxis.