Gesetzesmaterialien zu Art. 92 MWSTG 2010

Parlamentarische Beratungen

Die parlamentarischen Beratungen des MWSTG 2010 aus dem Jahr 2009 finden sich hier: Parlamentarische Beratungen

Gesetzesfahne

Die Gesetzesfahne zeigt die durch das Parlament diskutierten Änderungen des Gesetzestextes verglichen mit dem Botschaftstext.

Botschaft 2008

Unten finden sie den Botschaftstext zu dieser Bestimmung. Die ganze Botschaft finden sie unter diesem Link: Botschaft 2008

BBl 2008, S. 7012 ff.

Die ESTV kann nach Artikel 51 MWSTG im Rahmen eines gerichtlichen Nachlassverfahrens einem Erlass der Steuer zustimmen. Zudem hat die Oberzolldirektion gemäss Artikel 84 Absatz 1 Buchstabe c MWSTG die Kompetenz, die Steuer auf der Einfuhr von Gegenständen ganz oder teilweise zu erlassen, wenn eine Nachforderung mit Rücksicht auf besondere Verhältnisse die steuerpflichtige Person unbillig belasten würde. Bereits im Rahmen der Vernehmlassung zum Bericht «10 Jahre MWST» wurde das Begehren gestellt, die für die Einfuhrsteuer bereits vorgesehene Möglichkeit eines Erlassverfahrens auch auf die Inland- und die Bezugsteuer auszudehnen, um Härtefälle zu vermeiden. Der vorliegende Gesetzesentwurf versucht diesem Begehren Rechnung zu tragen.

Absatz 1 ist neu. Bei der Frage, ob das Mehrwertsteuergesetz eine weitergehende Erlassmöglichkeit kennen soll, ist zu berücksichtigen, dass die steuerpflichtigen Personen die MWST bereits vorgängig eingezogen haben. Dass die ESTV heute nur im Rahmen eines gerichtlichen Nachlassverfahrens einem Erlass der Steuer zustimmen kann, macht durchaus Sinn, da sich das gerichtliche Nachlassverfahren nach dem Schuldbetreibungs- und Konkursrecht richtet, das heisst, die ESTV ist an einen gerichtlichen Nachlassvertrag ebenso gebunden wie jeder andere Gläubiger.

Anders sieht es aus bei einer generellen Erlassnorm, wie sie in den meisten anderen Steuergesetzen verankert ist. Der wesentliche Unterschied zwischen der MWST und den andern Steuern liegt darin, dass bei der MWST die steuerpflichtige Person mit dem wirklichen Steuerbelasteten nicht identisch ist, sondern nur eine treuhänderische Funktion hat bzw. Inkassostelle ist. Kommt die steuerpflichtige Person ihren Zahlungspflichten nach, leitet sie Geld weiter, das ihr ihr Abnehmer oder ihre Abnehmerin bereits bezahlt hat und welches im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderung dem Bund zusteht. Bleibt der Empfänger oder die Empfängerin von Leistungen das Entgelt (und damit auch den Steuerbetrag) schuldig, so ist auch keine Steuer geschuldet. Demzufolge wird die steuerpflichtige Person durch die MWST – abgesehen von der administrativen Belastung, die ihr für die Erhebung der Steuer entsteht – nicht finanziell belastet. Schon systembedingt sollte sich daher grundsätzlich kein Härtefall ergeben, welcher einen Steuererlass rechtfertigen würde. Diese Auffassung hat das Bundesgericht hinsichtlich der Frage der Zahlungserleichterung in seinem Entscheid vom 23. Dezember 2002 bestätigt (Urteil des Bundesgerichts 2A.344/2002). Der Erlass bei der MWST muss so ausgestaltet sein, dass nur diejenigen Steuern erlassen werden können, welche nach dem Gesetz zwar geschuldet sind, von der steuerpflichtigen Person aber aus einem entschuldbaren Grund nicht eingezogen und vom Kunden oder von der Kundin somit nicht bezahlt worden sind. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Aus den bereits dargelegten Gründen sind die Erlassgründe eng zu fassen. Ein Erlass kommt nur dann in Frage, wenn die allenfalls zu erlassende Steuer nach Artikel 43 E-MWSTG rechtskräftig wurde. Ansonsten ist zuerst die geschuldete Steuer zu ermitteln.

Absatz 1 führt sodann abschliessend die Erlassgründe auf. Bei Buchstabe a liegt ein verständlicher Grund beispielsweise dann vor, wenn die steuerpflichtige Person sich über die Steuerpflicht in einem Irrtum befunden hat und eine andere Person unter den gleichen Voraussetzungen ebenso gehandelt hätte. Sämtliche in Buchstabe a genannten Kriterien müssen kumulativ erfüllt sein.

Absatz 1 Buchstabe b regelt den Fall, dass die steuerpflichtige Person die Steuer einzig deshalb schuldet, weil sie formelle Vorschriften nicht eingehalten hat. Dies sollte zwar nach der Gesetzesrevision nur noch ausnahmsweise auftreten, da das Gesetz grundsätzlich keine formellen Vorschriften mehr kennt. Insbesondere werden an die durch die steuerpflichtigen Personen zu erbringenden Nachweise keine Formerfordernisse mehr gestellt. Das Gesetz sieht für diese Fälle dennoch die Erlassmöglichkeit vor. Es stellt damit sicher, dass steuerpflichtige Personen nicht aus rein formellen Gründen mit Steuer belastet werden, wenn dem Bund nachweislich kein Steuerausfall entsteht. Das Gesetz übernimmt damit die Änderung der Verordnung zum Mehrwertsteuergesetz, welche per 1. Juli 2006 erfolgt ist (Art. 45a MWSTGV).

Absatz 1 Buchstabe c bezieht sich auf den Fall, bei dem die steuerpflichtige Person aus entschuldbaren Gründen ihren Veranlagungspflichten nicht nachkommen konnte. In diesen Fällen nimmt die ESTV eine Ermessenseinschätzung vor (Art. 79 E-MWSTG). Weist die steuerpflichtige Person nachträglich nach oder macht sie zumindest glaubhaft, dass diese Ermessenseinschätzung zu hoch ausgefallen ist, kann ihr die Steuer für den zuviel eingeschätzten Betrag erlassen werden. Bussenforderungen beruhen auf strafrechtlichen Bestimmungen und sollen deshalb im Rahmen des hier geregelten Forderungserlasses nicht erlassen werden.

Absatz 2 entspricht weitgehend dem bisherigen Artikel 51 MWSTG. Die Norm wurde jedoch um den Satzteil «beziehungsweise auf die Sicherstellung ihrer Forderung» ergänzt. Die Möglichkeit des Erlasses ist im Mehrwertsteuerrecht nicht unproblematisch. Die bisherige Kann-Norm in Artikel 51 MWSTG gab der ESTV die Möglichkeit, in einem gerichtlichen Nachlassverfahren einem Erlass zuzustimmen. Sie stimmt in der Regel dann zu, wenn der steuerpflichtige Schuldner oder die steuerpflichtige Schuldnerin die öffentliche Hand nicht anders behandelt hat als die privaten Gläubiger, das heisst, wenn er oder sie in allgemeine Zahlungsschwierigkeiten geraten ist, das Unternehmen an sich aber überlebensfähig ist. Die ESTV lehnt ein gerichtliches Nachlassgesuch in der Regel dann ab, wenn der Schuldner oder die Schuldnerin die öffentliche Hand gegenüber privaten Gläubigern benachteiligt hat. Da in diesen Fällen die Forderung der ESTV oftmals eine Höhe erreicht, welche für das Erreichen des Quorums nach Artikel 305 SchKG von Bedeutung ist, wird in der Praxis oft ein grosser Druck auf die ESTV ausgeübt, dem Nachlassvertrag zuzustimmen. Es wird dabei immer häufiger eine anfechtbare Verfügung beantragt. Die ESTV hat sich diesbezüglich bisher auf die «Kann-Vorschrift» berufen und auf das Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, wonach sie in einem Nachlassverfahren für die Annahme oder Ablehnung des Nachlassvertrags nicht anders behandelt werden darf als andere Gläubiger. Der Nachlassrichter oder die Nachlassrichterin darf gemäss Schuldbetreibungs- und Konkursrecht von keinem Gläubiger eine Begründung seiner Ablehnung verlangen, sodass nicht ersichtlich ist, weshalb die ESTV ihre Ablehnung begründen müsste.

Absatz 3: Die ESTV muss nicht von Amtes wegen tätig werden, sondern die steuerpflichtige Person muss ein begründetes Gesuch um Steuererlass einreichen und die geltend gemachten Tatsachen nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Da die steuerpflichtigen Personen grundsätzlich keinen Anspruch auf einen Erlass der Steuer haben, wäre es an sich zu rechtfertigen, dass die ESTV endgültig über einen Steuererlass entscheiden kann. In der Vernehmlassung wurde der fehlende Rechtsmittelweg jedoch einhellig kritisiert. Ausserdem ist bei anderen Steuern, welche den Steuererlass kennen, seit dem Inkrafttreten des Verwaltungsgerichtsgesetzes89 die Anrufung einer höheren Instanz grundsätzlich möglich. Absatz 3 sieht deshalb nun auch bei der MWST vor, dass die Erlassverfügung der ESTV – direkt, das heisst ohne vorgängiges Einspracheverfahren – an das Bundesverwaltungsgericht weitergezogen werden kann. Die übergeordnete Instanz wird allerdings nur prüfen können, ob die ESTV das ihr zustehende Ermessen nicht offensichtlich missbräuchlich ausgeübt hat. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 29a BV vorsieht, dass jedermann das Recht hat, in Rechtstreitigkeiten an ein unabhängiges Gericht zu gelangen (Rechtsweggarantie). Allerdings sieht das per 1. Januar 2007 in Kraft getretene neue Bundesgerichtsgesetz90 in Artikel 83 Buchstabe m vor, dass Entscheide über die Stundung und den Erlass von Abgaben nicht an das Bundesgericht weitergezogen werden können. Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts wird in Erlassfragen demnach endgültig sein.

Absatz 4: Das blosse Einreichen eines Gesuchs um Erlass der Steuerforderung begründet keine Unterbrechung eines laufenden Betreibungsverfahrens. Erst die Gutheissung des Gesuchs führt zur Einstellung des Betreibungsverfahrens. Aus verfahrensökonomischen Gründen wird dem Gesuch die aufschiebende Wirkung per Gesetz entzogen.

Die Ausweitung des Steuererlasses verschlechtert die Erhebungswirtschaftlichkeit spürbar. Es ist mit einem Mehrbedarf an Personal für die ESTV von bis zu 10 Stellen zu rechnen, um die Erlassgesuche zu bearbeiten und zu entscheiden. Da der Erlass gemäss Artikel 112 Absatz 3 E-MWSTG auf bereits bestehende Forderungen ebenfalls Anwendung findet, ergibt sich auch für die bei der EFV angesiedelte zentrale Inkassostelle ein Zusatzaufwand. Es müssen nämlich im Rahmen der Bewirtschaftung der bei ihr befindlichen gut 11 000 Verlustschein-Dossiers betreffend Mehrwertsteuerforderungen neu anfechtbare Verfügungen durch die ESTV erlassen werden, was die Bewirtschaftung der Verlustschein-Dossiers stark erschweren wird. Durch die Weiterzugsmöglichkeit wird auch die Rechtsmittelinstanz zusätzlich belastet.

Absatz 6 überträgt dem Bundesrat die Kompetenz, die Voraussetzungen und das Verfahren in Bezug auf den Erlass näher zu regeln.