Formelle Rügen

Sehr selten lassen sich formelle Fehler

der Einschätzungsmitteilung in der Einsprache rügen. Dabei

gilt es insbesondere folgende Punkte zu prüfen: Hat die ESTV

den in der Einschätzungsmitteilung bekanntgegebenen

Einschätzungsentscheid gefällt und enthält er eine aus-

reichende Begründung sowie eine Rechtsmittelbelehrung

(Art. 34–35 VwVG)? Der Entscheid muss insbesondere darle-

gen, dass innert 30 Tagen dagegen nach Art. 83 MWSTG

Einsprache erhoben werden kann (Art. 35 Abs. 2 VwVG). Aus

der mangelhaften Eröffnung der Einschätzungsmitteilung

dürfen der Steuerpflichtigen keine Nachteile erwachsen

(Art. 38 VwVG) [23].

Weiter ist zu prüfen, ob die in der Kontrolle geltend ge-

machte Steuerforderung aufgrund einer früheren internen

bzw. externen Kontrolle bereits in Rechtskraft erwachsen ist

und somit die Steuerforderung von der ESTV gar nicht mehr

eingefordert werden kann. Die relative Festsetzungsverjäh-

rung von grundsätzlich 5 Jahren, welche nicht mit der vorne

erwähnten absoluten Festsetzungsverjährung von 10 Jahren

verwechselt werden darf, kann durch eine Kontrolle der ESTV

auf zwei Jahre verkürzt worden sein. Eine Verjährungsein-

rede ist deshalb zu prüfen.

Eine Kontrolle wird der Steuerpflichtigen in der Regel

schriftlich angekündigt werden (Art. 78 Abs. 3 MWSTG).

Diese Ankündigung informiert unter anderem darüber,

hinsichtlich welcher Steuerperiode eine Kontrolle durchge-

führt wird, wer diese wann vornimmt und welche Unterla-

gen dafür bereitzustellen sind [24]. Durch die Revision des

MWSTG wurde der Begriff der Kontrolle ausgedehnt: Als

Kontrolle gilt künftig nicht nur mehr die externe Kontrolle

am Sitz der Steuerpflichtigen, sondern auch bereits die in-

terne Kontrolle, das heisst das Einfordern und die Prüfung

von umfassenden Unterlagen durch die ESTV (Art. 78 Abs. 2

MWSTG). Es ist für die Steuerpflichtige wichtig zu wissen,

ob es sich beim konkreten Vorgehen der ESTV um eine Kon-

trolle handelt, weil die Kontrolle (nach Art. 78 Abs. 5 MWSTG)

mit einer Einschätzungsmitteilung abzuschliessen ist, wel-

che bei Anerkennung durch die steuerpflichtige Person für

die kontrollierten Steuerperioden in Rechtskraft erwächst [25].

Rechtskraft bedeutet, dass die Steuerpflichtige die Verfü-

gung nicht mehr mit einem Rechtsmittel anfechten kann

(formelle Rechtskraft) und die ESTV diese von sich aus nicht

mehr abändern darf (materielle Rechtskraft) [26].

Die Steuerpflichtige muss demnach künftig bei Einwänden

oder Unklarheiten innerhalb der Frist von 30 Tagen formell

Einsprache erheben, um eine Anerkennung und der damit

einhergehende Eintritt der Rechtskraft zu verhindern (Art. 83

Abs. 1 MWSTG) [27].

Festzuhalten bleibt, dass nicht jedes Einfordern von Unter-

lagen seitens der ESTV als interne Kontrolle zu qualifizieren

ist. Die Frage, ob eine konkrete Anfrage der ESTV nun als

Kontrolle zu qualifizieren ist oder nicht, wird im konkreten

Fall nicht immer einfach zu entscheiden sein. Aufgrund der

möglichen Rechtskraft der Kontrolle ist die präzise Defini-

tion insbesondere der internen Kontrolle jedoch zentral. Die

interne Kontrolle wird in Art. 78 Abs. 2 MWSTG als «umfas-

sende Prüfung von Unterlagen» beschrieben. Die Mehrwert-

steuerverordnung (MWSTV) vom 27. November 2009 konkreti-

siert diese Bestimmung und legt fest, dass bereits die Ein-

forderung von Geschäftsbüchern eines Geschäftsjahrs, sei es

mit oder ohne entsprechende Belege, als umfassend gelte

(Art. 140 MWSTV). Als Geschäftsbücher gelten das Haupt-

buch bestehend aus den Konten (sachlogische Gliederung

der Geschäftsvorfälle) und dem Journal (chronologische Er-

fassung der Geschäftsvorfälle) sowie die ergänzenden Hilfs-

bücher (Art. 957 Obligationenrecht, OR i. V. m. Art. 1 Ge-

schäftsbücherverordnung, GeBüV) [28]. Weiter hält Art. 128

der MWSTV fest, dass die ESTV von der Steuerpflichtigen

zusätzliche Unterlagen [29] verlangen kann, ohne dass dieses

Einfordern zusätzlicher Unterlagen als interne Kontrolle

qualifiziert wird. Wichtig ist festzuhalten, dass die Aufzäh-

lung dieser Unterlagen in Art. 128 MWSTV nicht abschlies-

send ist und auch weitere Unterlagen eingefordert werden

können, ohne dass eine interne Kontrolle vorliegt [30]. Aus

der Botschaft zum MWSTG ergibt sich generell eine restrik-

tive Auslegung des Begriffs der umfassenden Unterlagen als

Qualifikationskriterium der internen Kontrolle.

Zusammenfassend ist zu betonen, dass der ESTV auch unter

dem MWSTG die Möglichkeit einer bloss punktuellen Über-

prüfung einzelner Geschäfte erlaubt ist, ohne dass diese

Überprüfung eine interne Kontrolle mit Verkürzung der

Verjährungsfrist darstellt. Es bleibt jedoch festzuhalten,

dass diese punktuelle Überprüfung durch die ESTV nicht

als Ersatz, sondern als Ergänzung zur Kontrolltätigkeit nach

Art. 78 Abs. 2 MWSTG angewendet werden soll, da ansonsten

die mit dem neuen MWSTG angestrebte Verbesserung der

Rechtssicherheit der Steuerpflichtigen verloren geht [32].

In der Praxis wird nach Abschluss der Kontrolle der Steuer-

pflichtigen bereits das provisorische Kontrollergebnis mitt-

geteilt. Diese Mitteilung stellt aber keine Einschätzungs-

mitteilung im Sinne von Art. 78 Abs. 5 MWSTG dar [33]. Die

eigentliche Einschätzungsmitteilung wird der Steuerpflich-

tigen erst später zugestellt. Sie wird in Form einer Verfügung

erlassen [34]. Die Einschätzungsmitteilung enthält die ge-

samte Steuerforderung der kontrollierten Steuerperiode, dies

führt zu einem Gewinn an Rechtssicherheit für die betroffe-

nen Steuerpflichtigen [35].

Stellt man fest, dass die ESTV schon in Vorjahren Unter-

lagen über die nun mit Einsprache angefochtene Steuer-

periode verlangt hat, so ist zu prüfen, ob die Steuerpflichtige

die Verjährungseinrede der Festsetzung der Forderung gel-

tend machen kann. Die relative Festsetzungsverjährung von

grundsätzlich 5 Jahren kann nämlich durch eine Kontrolle

der ESTV auf zwei Jahre verkürzt worden sein. Bei einer

Kontrolle, welche durch die ESTV vor drei Jahren erfolgt ist

(z. B. durch Zustellen von umfassenden Unterlagen), könnte

die betroffene Steuerperiode unter Umständen nicht noch-

mals kontrolliert werden.