BGE 112 Ib 634

Art. 52 Abs. 2 VwVG; Pflicht zur Nachfristansetzung bei Mängeln der

Beschwerdeschrift.

Im Gegensatz zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Art. 108 Abs. 3

OG) ist bei der Verwaltungsbeschwerde gemäss Art. 52 Abs. 2 VwVG eine

Nachfrist zur Verbesserung anzusetzen nicht nur bei Unklarheit des

Begehrens oder der Begründung, sondern ganz allgemein dann, wenn die

Beschwerde den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt; vorausgesetzt,

dass eine individualisierte Person erkenntlich ihren Willen zum Ausdruck

bringt, als Beschwerdeführer aufzutreten und die Änderung einer bestimmten,

sie betreffenden und mittels Verfügung geschaffenen Rechtslage anzustreben.

Auszug aus den Erwägungen:

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

2.- a) Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren hat die

Beschwerdeschrift nach Art. 108 Abs. 2 OG unter anderem die Begehren und

deren Begründung zu enthalten. Lassen die Begehren oder die Begründung

die nötige Klarheit vermissen und stellt sich die Beschwerde nicht als

offensichtlich unzulässig heraus, so ist dem Beschwerdeführer eine kurze

Nachfrist zur Behebung des Mangels anzusetzen (Art. 108 Abs. 3 OG). Nach

dieser Bestimmung ist eine Fristansetzung durch das Bundesgericht

ausgeschlossen, wenn die Beschwerde überhaupt keine Begehren oder

Begründung enthält. Diese müssen - wenn auch nur summarisch - innerhalb der

Frist von Art. 106 Abs. 1 OG eingereicht werden (BGE 107 V 245; 104 V 178).

b) Anders verhält es sich im Verwaltungsverfahren. Nach Art. 52

Abs. 1 VwVG hat die Beschwerdeschrift zwar auch hier "die Begehren,

deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des

Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten". Genügt aber

eine Beschwerde diesen Anforderungen nicht, oder lassen die Begehren des

Beschwerdeführers oder deren Begründung die nötige Klarheit vermissen und

stellt sich die Beschwerde nicht als offensichtlich unzulässig heraus, so

räumt die Beschwerdeinstanz dem Beschwerdeführer eine kurze Nachfrist zur

Verbesserung ein (Art. 52 Abs. 2 VwVG) verbunden mit der Androhung, dass

nach unbenutztem Fristablauf beim Fehlen eines Begehrens, der Begründung

oder der Unterschrift auf die Beschwerde nicht eingetreten werde (Art. 52

Abs. 3 VwVG).

Eine analoge Bestimmung findet sich in Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG. Das

Eidg. Versicherungsgericht hat diese Vorschrift dahingehend ausgelegt,

dass im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren die Fristansetzung zur

Verbesserung der Beschwerde - im Gegensatz zum Verfahren nach Art. 108

OG - nicht nur bei Unklarheit des Begehrens oder der Begründung zu

erfolgen habe, sondern ganz allgemein immer dann, wenn die Beschwerde

den gesetzlichen Anforderungen nicht genüge; es handle sich um eine

formelle Vorschrift, die den erstinstanzlichen Richter - ausser in

Fällen offensichtlichen Rechtsmissbrauchs - verpflichte, eine Frist zur

Verbesserung der Mängel der Beschwerdeschrift anzusetzen (BGE 107 V 245,

104 V 178; vgl. dazu auch BGE 108 Ia 212).

Dasselbe gilt für Art. 52 Abs. 2 VwVG. Schon aus dem Wortlaut

der Bestimmung ergibt sich durch die Bezugnahme auf die in Abs. 1

umschriebenen Erfordernisse klar, dass die kurze Nachfrist zur Verbesserung

der Beschwerdeschrift auch dann einzuräumen ist, wenn Begehren oder

Begründung vollständig fehlen. Eine solche Auslegung findet ihre Stütze

in der bundesrätlichen Botschaft zu dieser Bestimmung: In Milderung

der Formenstrenge von Art. 108 Abs. 2 und 3 OG und der bis dahin

geltenden Praxis, wonach die Beschwerdeinstanz auf eine Beschwerde ohne

Rechtsbegehren, Begründung oder Unterschrift nicht einzutreten brauchte,

setze das Nichteintreten auf eine mangelhafte Beschwerde voraus, dass der

Beschwerdeführer sie nicht innert einer ihm einzuräumenden kurzen Nachfrist

verbessere; immerhin müsse er die Beschwerde innert der Beschwerdefrist

mindestens anmelden (BBl 1965 II S. 1371).

Der Wortlaut von Art. 52 Abs. 2 VwVG könnte zur Annahme verleiten,

dass an die Beschwerdeschrift im Verwaltungsverfahren überhaupt

keine Mindestanforderungen gestellt würden. Wenn der Gesetzgeber

im Verwaltungsverfahren hinsichtlich Form und Inhalt der Beschwerde

offensichtlich keine hohen Anforderungen stellen wollte, und in der

verwaltungsinternen Rechtspflege die Einhaltung von Formvorschriften nicht

nach strengen Massstäben beurteilt wird, so muss vom Rechtssuchenden doch

ein Mindestmass an Sorgfalt in der Beschwerdeführung verlangt werden. Damit

eine Eingabe überhaupt als - wenn auch unvollständige - Beschwerde im

Sinne von Art. 52 VwVG mit den entsprechenden Rechtswirkungen (Hemmung

des Eintritts der Rechtskraft und damit Aufschub der Vollstreckung;

Art. 55 Abs. 1 VwVG) betrachtet werden kann, muss darin mindestens eine

individualisierte Person erkenntlich ihren Willen zum Ausdruck bringen,

als Beschwerdeführer auftreten zu wollen und die Änderung einer bestimmten,

sie betreffenden und mittels Verfügung geschaffenen Rechtslage anzustreben

(vgl. dazu BGE 102 Ib 372 sowie F. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege,

2., überarbeitete Auflage, Bern 1983, S. 196, und P. SALADIN, Das

Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, Basel 1979, S. 198).

c) Eine Nachfristansetzung nach Art. 52 Abs. 2 VwVG hat nach dem

Gesagten grundsätzlich immer zu erfolgen, wenn eine Beschwerde den

gesetzlichen Anforderungen des Absatzes 1 nicht genügt. Allfälligen

Missbräuchen kann dadurch vorgebeugt werden, dass die kurze Nachfrist

auch tatsächlich sehr knapp bemessen wird; die obere Grenze einer solchen

Nachfrist dürfte bei drei Tagen liegen, denn sie soll nicht dazu dienen,

die Beschwerdefrist nach Art. 50 VwVG beliebig zu verlängern.

Andernfalls würde die Bestimmung von Art. 53 VwVG bedeutungslos. Die

nach dieser Bestimmung angesetzte angemessene Nachfrist kann im Gegensatz

zur Frist nach Art. 52 VwVG unter Umständen reichlich bemessen sein;

diese dient in aussergewöhnlich umfangreichen oder besonders schwierigen

Beschwerdesachen der Ergänzung der (vorhandenen) Begründung einer

ordnungsgemäss eingereichten, d.h. den Anforderungen von Art. 52 VwVG

genügenden Beschwerde; sie kann auf keinen Fall gewährt werden, wenn eine

Begründung - wie dies hier der Fall war - völlig fehlt.