mwstnetzwerk Tagesseminar 26.09.25 - Programm und Anmeldung hier
Wichtige Einsprachegründe
sind in der Praxis die Verletzung von Bundesrecht durch die
falsche Ermittlung des massgeblichen Rechts, die unzutref-
fende Auslegung oder die unrichtige Anwendung eines
Rechts satzes auf einen bestimmten Sachverhalt [42].
Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der
Bestimmung (grammatikalische Auslegung). Ist der Text
nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen mög-
lich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden.
Dabei kommt es namentlich auf den Zweck der Regelung,
die dem Text zugrundeliegenden Wertungen (teleologische
Auslegung) sowie auf den Sinnzusammenhang (systemati-
sche Auslegung) an, in dem die Norm steht. Die Gesetzes-
materialien (z. B. die Botschaft) sind (im Rahmen der histo-
rischen Auslegung) zwar nicht unmittelbar entscheidend,
dienen aber als Hilfsmittel, den Sinn der Norm zu erken-
nen [43]. Da die Schweizer MWST historisch auf der euro-
päischen Mehrwertsteuerrichtlinie basiert, kann für die
Auslegung des schweizerischen Mehrwertsteuerrechts die
Auslegung der europäischen Mehrwertsteuerrichtlinie durch
den europäischen Gerichtshof hilfreich sein [44].
Die Rechtsprechung lehnt es weiter ab, diese Auslegungs-
elemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen [45]. Im
Mehrwertsteuerbereich halten sich die Gerichte aber nicht
an diese Regel.
Die gegenwärtige MWST-Rechtsprechung wendet heute
oft die wirtschaftliche Betrachtungsweise an und geht dabei
davon aus, dass die mehrwertsteuerliche Auslegung von
Vorgängen nicht in erster Linie aus einer zivil-, sprich
vertrags rechtlichen Sicht, sondern aus einer wirtschaftli-
chen, tatsächlichen Sicht zu erfolgen hat. Der wirtschaftli-
chen Betrachtungsweise kommt gemäss dieser Rechtspre-
chung im Bereich der MWST nicht nur bei der rechtlichen
Beurteilung von Sachverhalten, sondern auch bei der Aus-
legung von zivilrechtlichen und von steuerrechtlichen Be-
griffen Bedeutung zu. Nicht entscheidend ist deshalb
grundsätzlich, wie die Parteien ihr Vertragsverhältnis ausge-
stalten [46]. Das Bundesgericht hat im Entscheid 2A.369/2005
vom 24. August 2007, E. 5.1 mit Hinweisen aber auch festge-
halten, das die zivilrechtlichen Kriterien grundsätzlich auch
für die steuerrechtliche Würdigung des Rechtsgeschäfts
massgebend bleiben.
Nach Reich handelt es sich bei der wirtschaftlichen Betrach-
tungsweise um «eine teleologische Sicht der Dinge» [47].
Damit lässt sich sagen, dass die Gerichte in MWST-Angele-
genheiten der teleologischen Sichtweise den Vorrang gegen-
über dem Wortlaut der Bestimmung (d. h. der grammatika-
lischen Sicht) geben. Das ist unglücklich, aber bei der Ver-
fassung von Einsprachen zu berücksichtigen. Zudem führt
diese von den zivilrechtlichen Begriffen losgelöste mehr-
wertsteuerrechtliche Interpretation (z. B. beim Begriff der
Stellvertretung) zu zusätzlicher und unnötiger Rechtsunsi-
cherheit. Im Sinn von Matteotti ist deshalb zu hoffen, dass
«das Bundesgericht dereinst die Gelegenheit finden wird,
im derzeit herrschenden Methodenwirrwarr rund um die
wirtschaftliche Betrachtungsweise ein klärendes Wort zu
sprechen» [48].
Eine weitere Auslegungsspezialität im Bereich der MWST
ist die Auslegung von Ausnahmen nach Art. 21 MWSTG. Hier
hält die Rechtsprechung fest, dass diese sogenannten un-
echten Ausnahmen von der MWST als grundsätzlich um-
fassender Verbrauchssteuer einschränkend auszulegen sind.
Zweck von Art. 21 MWSTG ist es, den Endverbraucher aus
sozial-, kultur- oder wirtschaftspolitischen Motiven zu be-
günstigen und nur dann eine Ausnahme zu gewähren [49].