Gesetzesmaterialien zu Art. 10 MWSTG 2010

Parlamentarische Beratungen

Die parlamentarischen Beratungen des MWSTG 2010 aus dem Jahr 2009 finden sich hier: Parlamentarische Beratungen

Gesetzesfahne

Die Gesetzesfahne zeigt die durch das Parlament diskutierten Änderungen des Gesetzestextes verglichen mit dem Botschaftstext.

Botschaft 2008

Unten finden sie den Botschaftstext zu dieser Bestimmung. Die ganze Botschaft finden sie unter diesem Link: Botschaft 2008

BBl 2008, S. 6947 ff.

Absatz 1: Steuerpflichtig ist grundsätzlich, wer ein Unternehmen betreibt. Die Steuerpflicht knüpft nicht am Unternehmen, sondern an seinem Rechtsträger, dem Unternehmer oder der Unternehmerin, an. Dies bedeutet, dass einerseits Personen, welche mehrere Unternehmen betreiben, als einheitliches Steuersubjekt behandelt werden, und dass andererseits Personengesamtheiten (z.B. einfache Gesellschaften) ebenfalls ein Steuersubjekt bilden können. Auf die Rechtsform oder den Zweck des Unternehmens kommt es nicht an. Somit können namentlich die im geltenden Recht in Artikel 21 Absatz 2 MWSTG genannten Personen (natürliche Personen, Personengesellschaften, juristische Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, unselbstständige öffentliche Anstalten sowie Personengesamtheiten ohne Rechtsfähigkeit) steuerpflichtig werden.

Unternehmer oder Unternehmerin ist, wer ein Unternehmen betreibt, das heisst, wer eine auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus Leistungen ausgerichtete berufliche oder gewerbliche Tätigkeit selbstständig ausübt und unter eigenem Namen nach aussen auftritt. Für den Begriff des Unternehmens spielt es keine Rolle, ob tatsächlich Einnahmen erzielt werden; so gehört auch die Vorbereitung oder der Abschluss der wirtschaftlichen Tätigkeit zum Lebenszyklus eines Unternehmens. Damit werden die Bestimmungen der Artikel 27 Absatz 2 und 29bis MWSTG überflüssig. Die Tätigkeit des Unternehmers oder der Unternehmerin muss einerseits nachhaltig sein, das heisst darauf ausgerichtet sein, über eine gewisse Dauer durch planmässiges Vorgehen Einnahmen aus Leistungen zu erzielen, und andererseits beruflicher oder gewerblicher Natur sein. So stellt die Veräusserung eines Autos durch eine Privatperson keine unternehmerische Tätigkeit dar, da dieser einmalige Verkauf nicht eine auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen gerichtete Tätigkeit darstellt und nicht beruflicher oder gewerblicher Natur ist, wie auch alle übrigen Tätigkeiten im privaten Bereich (Hobbys, private Vermögensverwaltung etc.). Um eine unternehmerische Tätigkeit handelt es sich jedoch, wenn ein ausländisches Unternehmen in der Schweiz ebenfalls bloss einmalig eine steuerbare Leistung erbringt. Keine auf nachhaltige Erzielung von Einnahmen gerichtete Tätigkeit beruflicher oder gewerblicher Natur stellt gemäss (deutscher) Lehre und Rechtsprechung das blosse Halten, Kaufen und Verkaufen von Beteiligungen an anderen Gesellschaften dar. Es muss sich sodann um eine wirtschaftliche Tätigkeit handeln, also um die Produktion von oder den Handel mit Gütern oder das Erbringen von Dienstleistungen, die für den Austausch auf dem Markt oder für den persönlichen Konsum bestimmt sind. Die Tätigkeit muss ausserdem selbstständig ausgeübt werden. Lohn- und Gehaltsempfänger und -empfängerinnen, die durch einen Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber gebunden sind und zu diesem in einem Verhältnis der Unterordnung stehen, können für ihre Tätigkeit typischerweise nicht mehrwertsteuerpflichtig werden. Entschädigungen wie Verwaltungsrats- und Stiftungsratshonorare, Behördenentschädigungen oder Sold fallen daher nicht unter die MWST. Die wirtschaftliche Einheit übt die Tätigkeit unter eigenem Namen aus. Dadurch wird klar, dass beispiels-weise eine Unternehmensgruppe kein Unternehmen ist, sondern sich die Gruppe aus verschiedenen Unternehmen zusammensetzt. Vorstehende Ausführungen lassen erkennen, dass der Unternehmer- bzw. Unternehmensbegriff im Mehrwertsteuerrecht weiter ist als im gemeinen Sprachgebrauch. Auch die betriebswirtschaftliche Definition des Unternehmens bzw. des Unternehmers/der Unternehmerin ist enger gefasst als bei der MWST.

Absatz 2 Buchstabe a: Von der Steuerpflicht befreit ist, wer im Inland innerhalb eines Jahres weniger als 100 000 Franken Umsatz aus steuerbaren Leistungen erzielt. Gemäss dieser von verschiedenen namhaften Vernehmlassungsteilnehmern und -teilnehmerinnen vorgeschlagenen Konzeption begründet nicht mehr das Überschreiten der Limite die Steuerpflicht, sondern das Unterschreiten der Limite befreit von der Steuerpflicht. Die von der Steuerpflicht befreite Person darf aber keinesfalls mit der nicht steuerpflichtigen Person gleichgesetzt werden. Wer nicht steuerpflichtig ist, betreibt – im Unterschied zu der von der Steuerpflicht befreiten Person – kein Unternehmen. Die Umsatzlimite verfolgt den Zweck, kleinere Unternehmen von der administrativen Belastung der MWST zu befreien und auf Seiten der Verwaltung die Erhebungswirtschaftlichkeit zu verbessern. Sie verstösst aber gegen den zentralen Grundsatz der Wettbewerbsneutralität. Dies insbesondere in Branchen, in welchen überwiegend Klein- und Kleinstunternehmen tätig sind, wie der Coiffeur- oder derTaxibranche. Eine Übersicht über die in der EU geltenden Umsatzgrenzen gibt Anhang 1.

Anstelle der drei Umsatzlimiten im geltenden Recht kennt Buchstabe a nur noch eine Limite von 100 000 Franken, bis zu der eine Befreiung von der Steuerpflicht gilt. Die bisherigen Sonderregeln in Artikel 25 Absatz 1 Buchstaben a und d MWSTG entfallen. Wie es sich in der Praxis gezeigt hat, bereitet vor allem die Berechnung der «verbleibenden» Steuer, mithin der sogenannten Steuerzahllast, erhebliche Mühe und führt gerade bei Neugründungen von kleinen und mittleren Unternehmen sowohl für die betroffenen Unternehmen als auch für die ESTV zu grossen steuerlichen Unsicherheiten. Um auch im Bereich der Befreiung von der Steuerpflicht Vereinfachungen zu erzielen und Rechtssicherheit zu gewährleisten, wird deshalb diese erhöhte Mindestumsatzgrenze, die mit der Steuerzahllastgrenze gekoppelt ist, abgeschafft. Zur Kompensation und zur grösstmöglichen Entlastung der kleinen Unternehmen, deren administrative Aufwendungen überproportional hoch sind, wird im Gegenzug die Limite, bis zu welcher die Befreiung von der Steuerpflicht Platz greift, auf 100 000 Franken Umsatz angehoben. Rund 13 000 Kleinunternehmen, welche heute steuerpflichtig sind, werden durch die Erhöhung der Umsatzlimite von der Steuerpflicht befreit und aus dem Register der Steuerpflichtigen gelöscht, womit diese Kleinunternehmen maximal von einer administrativen Erleichterung und Vereinfachung profitieren können.

Der Wegfall der höheren Mindest-Umsatzlimite für Sportvereine und für kulturelle Institutionen sowie der Wegfall des Kriteriums der Steuerzahllast führen für die Betroffenen zwar zu einer Mehrbelastung, weil sie dadurch neu steuerpflichtig werden. Diese Mehrbelastung wird durch die Anhebung der unteren Limite aber teilweise kompensiert. Häufig überschreiten die Umsätze der kleinen und damit oft ehrenamtlich geführten Sportvereine und kulturellen Institutionen 100 000 Franken im Jahr nicht. Mit der Abschaffung der Sondermindestumsatzgrenzen gemäss Artikel 25 Absatz 1 Buchstaben a und d MWSTG wird es rund 14 000 neue Steuerpflichtige geben. Per Saldo führt die Neuregelung der Steuerpflicht somit zu rund 1000 zusätzlichen Steuerpflichtigen.

Die Erhöhung der Umsatzlimite hat im Übrigen den Vorteil einer «Harmonisierung» mit der Limite für den Handelsregistereintrag, womit sich hier für Unternehmen eine zusätzliche Vereinfachung einstellt. Die Abstimmung dieser Limiten im Rahmen der vorliegenden Gesetzesrevision bedeutet aber nicht, dass die Mehrwertsteuer- und die Eintragungspflicht in das Handelsregister gleichzusetzen sind.

Im Gegensatz zur heutigen Regelung soll neu auf die vereinbarten und nicht mehr auf die vereinnahmten Entgelte abgestellt werden. Massgebend für die Bemessung der Umsatzlimite sind demnach die für inländische steuerbare Leistungen in Rechnung gestellten Entgelte ohne die darauf erhobene MWST. Bereits heute werden teilweise für die Berechnung nicht die vereinnahmten Entgelte zu Grunde gelegt, namentlich in folgenden Fällen:

a. Bei Aufnahme der Tätigkeit dient eine Mischform zwischen vereinnahmten Entgelten und vereinbarten Entgelten als massgebender Umsatz (Ziff. 3.2.2 Spezialbroschüre Steuerpflicht).

b. Bei rückwirkender (über mehrere Jahre) Prüfung der Steuerpflicht werden aus rein praktikablen Gründen die (Umsatz-)Zahlen aus der Erfolgsrechnung herangezogen. Buchhalterisch gesehen handelt es sich hierbei – in aller Regel – nicht um vereinnahmte Entgelte.

Lediglich bei Prüfung der Steuerpflicht im Laufe des Jahres, in welchem die Tätigkeit aufgenommen wurde (verspätete Anmeldung), ist davon auszugehen, dass es sich in vielen Fällen bei der gemeldeten Umsatzgrösse um «Einnahmen» handelt. Die Umstellung auf vereinbarte Entgelte bietet für die Verwaltung weder Vor- noch Nachteile, kann aber den Steuerpflichtigen Erleichterungen bringen, da in aller Regel komplizierte Umrechnungen entfallen. Zwecks Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen soll die ESTV jedoch bei Bar- bzw. Kreditgeschäften auch künftig auf eine Mischform im Sinne von Buchstabe a abstellen können.

Absatz 2 Buchstabe b enthält eine notwendige Regelung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Leistungen eines Unternehmens mit Sitz im Ausland, die der Bezugsteuer unterliegen. Ob der Leistungsempfänger oder die Leistungsempfängerin hinsichtlich der Bezugsteuer steuerpflichtig ist (Erreichung der Limite von 10 000 Franken) und ob er oder sie die Steuer gegebenenfalls auch tatsächlich deklariert, spielt für die Steuerpflicht des Leistungserbringers oder der Leistungserbringerin keine Rolle. Für das Ende der Befreiung von der Steuerpflicht eines ausländischen Unternehmens in der Schweiz zählen die Leistungen, welche dem Empfängerortprinzip und damit der Bezugsteuer (Art. 44 ff. E-MWSTG) unterliegen, nicht mit. Erbringt ein Unternehmen mit Sitz im Ausland daher ausschliesslich solche Dienstleistungen, bleibt es im Inland von der Steuerpflicht befreit. Erbringt das ausländische Unternehmen dagegen Lieferungen im Inland oder Dienstleistungen gemäss Artikel 8 Absatz 2 E-MWSTG, endet die Befreiung von der Steuerpflicht, wenn dadurch die Umsatzgrenze von 100 000 Franken überschritten wird. In diesem Fall hat es auch die von Buchstaben b umfassten Leistungen zu versteuern.

Für ausländische Anbieter und Anbieterinnen von Telekommunikations- und elektronischen Dienstleistungen gilt diese Ausnahme nicht. Dies entspricht inhaltlich genau der heutigen bewährten Regelung (Art. 25 Abs. 1 Bst. c MWSTG).

Absatz 3: Hinsichtlich der Behandlung von (grenzüberschreitenden) Leistungen zwischen dem (Haupt)Sitz und den Betriebsstätten bestehen bei der MWST verschiedene Lösungsansätze. Zur Klärung dieser Frage hält Absatz 3 fest, dass der inländische Sitz sowie alle inländischen Betriebsstätten eines Unternehmens ein Steuersubjekt bilden. Damit wird die notwendige Gesetzesgrundlage für die bereits heute geübte Praxis geschaffen. E contrario stellen beispielsweise ausländische Betriebsstätten eines inländischen Unternehmens ein anderes Steuersubjekt dar, sodass über den Leistungsaustausch zwischen den einzelnen Unternehmenseinheiten abzurechnen ist.