BGE 130 III 396

Zustellung des Rechtsöffnungsentscheids; Pfändungsankündigung.

Beseitigt die Krankenkasse den Rechtsvorschlag selbst, wird damit

ein neues Verfahren eröffnet. Die Zustellfiktion hinsichtlich des

Rechtsöffnungsentscheides gilt nicht und die Betreibung kann daher nicht

fortgesetzt werden (E. 1).

Sachverhalt

In der von der Z. Krankenkasse angestrengten Betreibung wurde

X. vom Betreibungsamt Würenlos am 13. Oktober 2003 der Zahlungsbefehl

für ausstehende Krankenkassenprämien zugestellt. Die Schuldnerin erhob

Rechtsvorschlag. Mit Verfügung vom 13. November 2003 beseitigte die

Krankenkasse den Rechtsvorschlag und forderte X. auf, Fr. 1'597.70 nebst

Zins und Betreibungskosten zu bezahlen. Die eingeschriebene Sendung wurde

am 26. November 2003 mit dem Vermerk "nicht abgeholt" an die Krankenkasse

zurückgeschickt.

Nach Eingang des Fortsetzungsbegehrens stellte das Betreibungsamt

am 6. Januar 2004 X. die Pfändungsankündigung zu. Am 16. Januar 2004

reichte X. beim Gerichtspräsidium Baden als untere Aufsichtsbehörde

Beschwerde ein. Mit Entscheid vom 24. Januar 2004 hiess der Präsident 1 des

Bezirksgerichts Baden die Beschwerde gut und hob die Pfändungsankündigung

des Betreibungsamtes Würenlos vom 6. Januar 2004 auf. Das Betreibungsamt

wurde angewiesen, das Fortsetzungsbegehren der Gläubigerin vom

22. Dezember 2003 in dieser Betreibung zurückzuweisen. Das Obergericht

des Kantons Aargau (Schuldbetreibungs- und Konkurskommission) wies als

obere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen die von

der Z. Krankenkasse eingereichte Beschwerde am 7. April 2004 ab.

Mit Eingabe vom 12. Mai 2004 hat die Z. Krankenkasse bei der

Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts gegen den Entscheid

des Obergerichts des Kantons Aargau Beschwerde eingereicht und beantragt

in der Hauptsache die Aufhebung dieses Entscheids.

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

1.

1.1 Das Obergericht führt aus, im vorliegenden Fall sei

der Betreibungsschuldnerin am 13. Oktober 2003 der Zahlungsbefehl

zugestellt worden, worauf diese Rechtsvorschlag erhoben habe. Dies habe

die Einstellung der Betreibung bewirkt. Die Schuldnerin habe infolge der

Einstellung der Betreibung nicht zwangsläufig mit weiteren Zustellungen

seitens des Betreibungsamtes rechnen müssen. Ebenso habe sie nicht damit

rechnen müssen, dass ihr eine Verfügung seitens der Betreibungsgläubigerin

eröffnet werde, auch wenn vor Eröffnung der Verfügung kein Anspruch

auf Gewährung des rechtlichen Gehörs bestanden habe. Gemäss konstanter

Praxis der Zivilkammern des Obergerichts des Kantons Aargau verhalte es

sich gleich bei der Eröffnung eines Rechtsöffnungsverfahrens. Auch wenn

in diesen Fällen dem Betreibungsschuldner ein Zahlungsbefehl zugestellt

werde, habe er nach erhobenem Rechtsvorschlag nicht damit zu rechnen,

dass daraufhin ein Rechtsöffnungsverfahren eingeleitet werde. Auch in

diesen Fällen gelte eine Zustellung seitens des Rechtsöffnungsrichters,

falls die Sendung bei der Post nicht abgeholt werde und falls der Adressat

keine Kenntnis vom Rechtsöffnungsverfahren habe, nicht als erfolgt. Die

Vorinstanz fährt fort, die das Verfahren eröffnende Erstzustellung, wie

sie hier für die Verfügung der Beschwerdeführerin vom 13. November 2003

in Frage stehe, sei dem Betroffenen, der dadurch erst und nur von dem

gegen ihn eingeleiteten Verfahren Kenntnis erhalten könne, jedenfalls

zur Kenntnis zu bringen. Die Fiktion der Zustellung am letzten Tag der

7-tätigen postalischen Abholungsfrist gelte nicht schon für die das

Verfahren eröffnende Erstzustellung, sondern erst für die nachfolgenden

Zustellungen, in dem dem Betroffenen durch die Erstzustellung bekannten

Verfahren. Sei aber der Rechtsvorschlag nicht (rechtskräftig) beseitigt,

so könne die Betreibung nicht fortgesetzt werden. Eine Fortsetzung der

Betreibung trotz bestehendem Rechtsvorschlag erweise sich als nichtig

(FLAVIO COMETTA, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und

Konkurs, SchKG I, N. 12 zu Art. 22 SchKG). Die Vorinstanz habe somit zu

Recht die Pfändungsankündigung in der fraglichen Betreibung aufgehoben

und das Betreibungsamt angewiesen, das Fortsetzungsbegehren zurückzuweisen.

1.2 Die Beschwerdeführerin rügt, mit der Zustellung des

Zahlungsbefehls im Bereich des KVG (SR 832.10) wisse die Schuldnerin, dass

die Gläubigerin einen erhobenen Rechtsvorschlag mit einem eigeschriebenen

Brief (lettre signature) aufheben könne. Damit sei die Bedingung, dass der

Empfänger mit dem Erhalt des Briefes mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit

rechnen müsse, erfüllt.

(...)

1.2.2 Die Betreibung kann nicht weitergeführt werden, wenn der

Schuldner weder eine Vorladung zur Rechtsöffnungsverhandlung noch den

Rechtsöffnungsentscheid erhalten hat. Wird dies im Beschwerdeverfahren

geltend gemacht, haben die Aufsichtsbehörden zu prüfen, ob der Schuldner

gegen den Rechtsöffnungsentscheid ein kantonales Rechtsmittel ergriffen

hat (vgl. BGE 102 III 133 E. 3 S. 136 f.). Das Betreibungsamt soll nicht

Handlungen trotz eines (noch) wirksamen Rechtsvorschlages vornehmen,

welche nichtig wären (BGE 109 III 53 E. 2 S. 55; 84 III 13 S. 14 ff.).

1.2.3 Wird der Adressat anlässlich einer versuchten Zustellung

nicht angetroffen und daher eine Abholeinladung in seinen Briefkasten

oder sein Postfach gelegt, so gilt nach der bundesgerichtlichen

Rechtsprechung die Sendung in jenem Zeitpunkt als zugestellt, in

welchem sie auf der Post abgeholt wird; geschieht das nicht innert

der Abholfrist, die sieben Tage beträgt, so gilt die Sendung als

am letzten Tag dieser Frist zugestellt, sofern der Adressat mit der

Zustellung hatte rechnen müssen. Die siebentägige Frist war früher in

Art. 169 Abs. 1 lit. d und e der Verordnung 1 vom 1. September 1967

zum Postverkehrsgesetz (AS 1967 S. 1462) vorgesehen. Diese Verordnung

ist mit Art. 13 lit. a der Postverordnung vom 29. Oktober 1997 (aVPG;

AS 1997 S. 2461) aufgehoben worden. Die siebentägige Frist ist jetzt

als Grundsatz, von dem abweichende Abmachungen zulässig sind, in den

Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post vorgesehen und damit allgemein

bekannt (BGE 127 I 31 E. 2a/aa S. 34). Diese Rechtsprechung ist nur

dann massgebend, wenn die Zustellung eines behördlichen Aktes mit einer

gewissen Wahrscheinlichkeit erwartet werden muss. Indessen entsteht erst

mit der Rechtshängigkeit ein Prozessrechtsverhältnis, welches die Parteien

verpflichtet, sich nach Treu und Glauben zu verhalten, d.h. unter anderem

dafür zu sorgen, dass ihnen Entscheide, welche das Verfahren betreffen,

zugestellt werden können. Diese Pflicht entsteht mithin als prozessuale

Pflicht mit der Begründung eines Verfahrensverhältnisses und gilt insoweit,

als während des hängigen Verfahrens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit

mit der Zustellung eines behördlichen Aktes gerechnet werden muss (Urteil

des Bundesgerichts 2A.429/2002 vom 8. Oktober 2002, E. 1; BGE 123 III

492 E. 1 S. 493; 120 III 3 E. 1d; 119 V 89 E. 4b/aa S. 94; KÖLZ/HÄNER,

Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl.,

N. 341 S. 123).

Der Rechtsvorschlag bewirkt die Einstellung der Betreibung

(Art. 78 Abs. 1 SchKG). Damit wird dem Gläubiger der Betreibungsweg

verschlossen. Die Betreibung steht still und droht dahinzufallen, wenn

sie nicht binnen nützlicher Frist wieder in Gang gebracht wird. Dazu

dient die Rechtsöffnung (statt vieler: AMONN/WALTHER, Grundriss des

Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 7. Aufl., § 19 N. 1, S. 117). Die

Betreibung kann nur nach Aufhebung des Rechtsvorschlages durch den Richter

im Rechtsöffnungsverfahren (Art. 80-84 SchKG) oder auf dem ordentlichen

Prozessweg (Art. 79, 153 Abs. 3 und 186 SchKG) fortgesetzt werden. Auch

wenn im vorliegenden Fall die Beschwerdeführerin als Krankenkasse den

Rechtsvorschlag als Rechtsöffnungsinstanz selbst beseitigen kann (BGE 119 V

329 E. 2d S. 331/332; 128 III 246 E. 2), wird damit ein neues Verfahren in

die Wege geleitet. Die Vorinstanz hat deshalb kein Bundesrecht verletzt,

indem sie entschieden hat, die Zustellung des Rechtsöffnungsentscheids

habe nicht fingiert werden können. Die Zustellfiktion kann nur für das

hängige bzw. laufende Verfahren gelten.

1.3 Vorliegend hat die Beschwerdeführerin, die ihren Geschäftssitz in

Lausanne hat, in ihrer Verfügung vom 13. November 2003 den Rechtsvorschlag

beseitigt und der Betriebenen mitgeteilt, sie könne innert 30 Tagen

am Hauptsitz Einsprache erheben. Da eine solche unterblieb, wurde

am 22. Dezember 2003 das Fortsetzungsbegehren gestellt, worauf

das Betreibungsamt am 6. Januar 2004 die Pfändungsankündigung der

Schuldnerin zustellte. Das Vorgehen der Beschwerdeführerin war insoweit

grundsätzlich gesetzeskonform (KIESER, ATSG-Kommentar, N. 22 zu Art.

49 ATSG, S. 490/491). Wie in E. 1.2 ausgeführt, ist die Verfügung

der Beschwerdeführerin vom 13. November 2003, mit welcher sie den

Rechtsvorschlag der Betriebenen aufhob, mangels Nachweises einer gehörigen

Zustellung aber nicht in Rechtskraft erwachsen. Will die Beschwerdeführerin

die Betreibung fortsetzen, muss sie ihre Verfügung der Schuldnerin vorerst

ordnungsgemäss mitteilen, worauf dann das Betreibungsamt nach Art. 81

Abs. 2 SchKG vorzugehen hat (zu Letzterem: BGE 128 III 246 E. 2 S. 248;

KIESER, aaO, N. 14 zu Art. 54 ATSG, S. 548).