A-7110/2014

Abteilung I

A-7110/2014

Urteil vom 23. März 2015

Besetzung

Michael Beusch (Vorsitz),

Richter Daniel Riedo, Richter Jürg Steiger,

Gerichtsschreiberin Zulema Rickenbacher.

Parteien

A._______ AG,

vertreten durch

Ernst & Young AG,

Beschwerdeführerin,

gegen

Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV,

Hauptabteilung Mehrwertsteuer,

Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand

Erlassgesuch Bezugsteuern

(1. Januar 2010 - 31. Dezember 2011).

Sachverhalt:

A.

Die A._______ AG (nachfolgend: Steuerpflichtige) ist seit dem [...] 1994 - vormals mit Sitz in [...] und seit dem [...] 2014 mit Sitz in [...] - im Handelsregister eingetragen. Unternehmenszweck ist im Wesentlichen die Erbringung von Dienstleistungen [...].

B.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 reichte die Steuerpflichtige eine Nachdeklaration von ausstehenden, noch nicht verjährten Bezugsteuern für die Jahre 2007 bis 2011 bei der ESTV ein. Betreffend die Jahre 2007 bis 2009 beantragte sie die Berichtigung dieses Meldeversäumnisses in Anwendung des für diesen Zeitraum geltenden (alten) Rechts. Letzterem Begehren wurde stattgegeben.

Für die Jahre 2010 bis und mit dem 3. Quartal 2012 ersuchte sie um Nachholung der versäumten Deklaration im Rahmen einer vereinfachten Abwicklung gemäss Art. 80 des Mehrwertsteuergesetzes vom 12. Juni 2009 (MWSTG; SR 641.20). Gleichzeitig beantragte sie den Abzug geschuldeter, noch nicht verjährter Bezugsteuern als Vorsteuern bzw. eventualiter den Erlass dieser Steuern. Ausserdem verwies sie auf ihren Antrag auf rückwirkende Eintragung in das MWST-Register per 1. Januar 2012. Mit Schreiben vom 7. Februar 2013 bestätigte die ESTV die entsprechende Registrierung der Steuerpflichtigen.

C.

Mit Schreiben vom 28. Mai 2013 reichte die Steuerpflichtige unter Bezugnahme auf ihr Schreiben vom 19. Dezember 2012 sowie ein Schreiben der ESTV vom 21. Januar 2013 eine separate Nachdeklaration der Dienstleistungsbezüge von Unternehmen im Ausland für die Jahre 2010 und 2011 ein und beantragte den Erlass der entsprechenden Bezugsteuern in Höhe von insgesamt Fr. 258'630.--.

D.

Im Rahmen einer externen Kontrolle überprüfte die ESTV am 23. Januar 2014 die Steuerperioden 1. Januar 2010 - 31. Dezember 2011. Daraus resultierte die Einschätzungsmitteilung Nr. [...] vom 6. Juni 2014. Die darin nachbelastete Grundforderung beläuft sich auf Fr. 258'630.-- zuzüglich Verzugszinsen.

E.

Nach entsprechender Aufforderung durch die ESTV vervollständigte bzw. ergänzte die Steuerpflichtige mit Schreiben vom 30. Juli 2014 ihr Gesuch vom 28. Mai 2013 um Erlass der ausstehenden Bezugsteuern und reichte gleichzeitig eine schriftliche Anerkennung der Einschätzungsmitteilung vom 6. Juni 2014 ein. Die Steuerpflichtige begründete ihr Erlassgesuch damit, dass die in Art. 92 Abs. 1 Bst. a und b MWSTG genannten Erlassgründe gegeben seien. Namentlich seien die in Frage stehenden Bezugsteuern nur aufgrund der Nichteinhaltung formeller Vorschriften bzw. aufgrund eines Abwicklungsfehlers geschuldet, wobei dem Bund kein Steuerausfall entstanden sei. Ferner liege ein entschuldbarer Irrtum betreffend die Steuerpflicht vor, eine nachträgliche Überwälzung sei nicht möglich und die Bezahlung der ausstehenden Steuer würde eine grosse Härte bedeuten.

F.

Mit Verfügung vom 4. November 2014 wies die ESTV das Erlassgesuch der Steuerpflichtigen betreffend die Bezugsteuern für den Zeitraum zwischen 1. Januar 2010 und 31. Dezember 2011 ab. Sie begründete dies damit, dass keiner der in Art. 92 MWSTG abschliessend aufgezählten Erlassgründe gegeben sei. Betreffend die Vollstreckung der rechtskräftig festgesetzten Bezugsteuern kündigte sie an, vorläufig noch keine Betreibung einzuleiten.

G.

Gegen die Verfügung vom 4. November 2014 erhob die Steuerpflichtige (nachfolgend: Beschwerdeführerin) mit Eingabe vom 4. Dezember 2014 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Sie beantragt die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung sowie die Gutheissung ihres Gesuchs um Erlass der für 2010 und 2011 in Rechnung gestellten Bezugssteuern (Ziff. 1) und Verzugszinsen (Ziff. 2). Dies unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Staats (Ziff. 4). Ausserdem beantragt sie, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zuzusprechen (Ziff. 3).

H.

Mit Zwischenverfügung vom 10. Dezember 2014 forderte das Bundesverwaltungsgericht die ESTV auf, bis am 23. Dezember 2014 zum Gesuch der Beschwerdeführerin um aufschiebende Wirkung der Beschwerde Stellung zu nehmen. Verfügt wurde, dass Stillschweigen als Zustimmung verstanden werde und dass bis zum Entscheid über dieses Gesuch sämtliche Vollstreckungsvorkehrungen zu unterbleiben hätten.

I.

Mit Vernehmlassung vom 26. Januar 2015 beantragt die Vorinstanz die vollumfängliche Abweisung der Rechtsbegehren mit den Ziffern 1, 2 und 4 der Beschwerdeführerin. Gegen eine aufschiebende Wirkung der Beschwerde habe sie nichts einzuwenden.

J.

Auf die konkreten Vorbringen in den Eingaben der Parteien wird - soweit entscheidrelevant - in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG, sofern keine Ausnahme nach Art. 32 VGG gegeben ist. Eine solche liegt im vorliegenden Fall nicht vor und die ESTV ist eine Behörde im Sinne von Art. 33 VGG. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Behandlung der Beschwerde ist somit gegeben. Das Verfahren richtet sich gemäss Art. 37 VGG nach den Bestimmungen des VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt.

Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.

1.2 Das Bundesverwaltungsgericht kann den angefochtenen Entscheid grundsätzlich in vollem Umfang überprüfen. Der Beschwerdeführer kann neben der Verletzung von Bundesrecht (Art. 49 Bst. a VwVG) und der unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts (Art. 49 Bst. b VwVG) auch die Rüge der Unangemessenheit erheben (Art. 49 Bst. c VwVG; André Moser/Michael Beusch/Lorenz Kneubühler, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Aufl., 2013, Rz. 2.149). Hingegen ist es grundsätzlich nicht Sache der Rechtsmittelbehörden, den für den Entscheid erheblichen Sachverhalt von Grund auf neu zu ermitteln und über die tatsächlichen Vorbringen der Parteien hinaus den Sachverhalt vollkommen neu zu erforschen. Vielmehr geht es in diesem Verfahren darum, den von den Vorinstanzen ermittelten Sachverhalt zu überprüfen und allenfalls zu berichtigen oder zu ergänzen (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1080/2014 vom 2. Oktober 2014 E. 1.2 mit Verweis auf Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-3626/2009 vom 7. Juli 2010 E. 1.2; A-7164/2007 vom 3. Juni 2010 E. 1.5; A-310/2009 vom 7. Mai 2010 E. 1.4).

1.3 Im Beschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen. Das Bundesverwaltungsgericht ist verpflichtet, auf den unter Mitwirkung der Verfahrensbeteiligen festgestellten Sachverhalt die richtigen Rechtsnormen und damit jenen Rechtssatz anzuwenden, den es als den zutreffenden erachtet, und ihm jene Auslegung zu geben, von der es überzeugt ist (Moser/Beusch/Kneubühler, a.a.O., Rz. 1.54 unter Verweis auf BGE 119 V 347 E. 1a). Aus der Rechtsanwendung von Amtes wegen folgt, dass das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz nicht an die rechtliche Begründung der Begehren gebunden ist (Art. 62 Abs. 4 VwVG) und eine Beschwerde auch aus anderen als den gelten gemachten Gründen (teilweise) gutheissen oder den angefochtenen Entscheid im Ergebnis mit einer von der Vorinstanz abweichenden Begründung bestätigen kann (sog. Motivsubstitution; vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1080/2014 vom 2. Oktober 2014 E. 1.3 mit Verweis auf BVGE 2007/41 E.2 mit Hinweisen).

1.4 Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Gesetzesbestimmung in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. An einen klaren und unzweideutigen Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde gebunden, sofern dieser den wirklichen Sinn der Norm wiedergibt. Dabei sind die drei Amtssprachen gleichwertig (vgl. BGE 127 III 318 E. 2b; BGE 125 III 57 E. 2b; BGE 120 II 112 E. 3a). Ist eine Bestimmung trotz ihres scheinbar eindeutigen Wortlauts unklar, so ist nach dem wahren Sinn und Zweck der Norm zu suchen. Dieser ergibt sich in erster Linie aus der Entstehungsgeschichte und dem Willen des Gesetzgebers. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Rechtsnorm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten angewandte und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis aus der ratio legis. Massgebend ist damit der Rechtssinn des Rechtssatzes (vgl. BGE 125 II 192 E. 3a; BGE 122 V 362 E. 4a; vgl. zur Auslegung allgemein: Ulrich Häfelin/Georg Müller/ Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auflage, 2010, Rz. 414 ff.; Pierre Tschannen/Ulrich Zimmerli/Markus Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, 2014, § 25 Rz. 1 ff.).

Bei der Auslegung gelangen die grammatikalische, historische, zeitgemässe, systematische und teleologische Auslegung zur Anwendung. Nach herrschender Lehre kommt keiner dieser Auslegungsmethoden ein grundsätzlicher Vorrang zu. Vielmehr befolgt das Bundesgericht einen "pragmatischen Methodenpluralismus" (BGE 134 II 249 E. 2.3; BGE 128 I 34 E. 3b; BGE 125 II 206 E. 4a; BGE 124 III 266 E. 3a; Häfelin/

Müller/Uhlmann, a.a.O., Rz. 214 ff.). Durch Auslegung ist vorab zu ermitteln, ob das Fehlen einer Anordnung eine bewusst negative Antwort des Gesetzgebers, ein sogenanntes qualifiziertes Schweigen, darstellt. Kann dies verneint werden und erweist sich eine gesetzliche Regelung als unvollständig, da sie auf eine bestimmte Frage keine (befriedigende) Antwort gibt, so liegt eine (echte) Lücke des Gesetzes vor (vgl. zum Ganzen: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1714/2006 vom 11. August 2008 E. 2.5).

1.5 Für die Auslegung von Gesetzesnormen können neben den dazugehörigen Verordnungen auch Verwaltungsverordnungen beigezogen werden. Bei Letzteren handelt es sich um Meinungsäusserungen der Verwaltung über die Auslegung der anwendbaren Gesetzesbestimmungen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2A.321/2002 vom 2. Juni 2003 E. 3.2.1 mit weiteren Hinweisen). Sie sollen eine einheitliche, gleichmässige und sachrichtige Praxis des Gesetzesvollzugs sicherstellen (Michael Beusch, Was Kreisschreiben dürfen und was nicht, in: Der Schweizer Treuhänder, 2005, S. 613 ff.). Verwaltungsverordnungen sind für die als eigentliche Adressaten figurierenden Verwaltungsbehörden verbindlich, wenn sie nicht klarerweise einen verfassungs- oder gesetzeswidrigen Inhalt aufweisen (vgl. BVGE 2010/33 E. 3.3.1 mit weiteren Hinweisen).

Nicht verbindlich sind Verwaltungsverordnungen dagegen für die Justizbehörden, deren Aufgabe es ist, die Einhaltung von Verfassung und Gesetz im Einzelfall zu prüfen (Moser/Beusch/Kneubühler, a.a.O., Rz. 2.173 f.). Die Gerichte sollen Verwaltungsverordnungen bei ihrem Entscheid allerdings mitberücksichtigen, sofern diese eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Dies gilt umso mehr, als es nicht die Aufgabe der Gerichte ist, als Zweitinterpreten des der Verwaltungsverordnung zu Grunde liegenden Erlasses eigene Zweckmässigkeitsüberlegungen an die Stelle des Vollzugskonzepts der zuständigen Verwaltungsbehörde zu setzen (zum Ganzen: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

A-2654/2014 vom 5. Februar 2015 E. 2.2 mit Verweis auf BGE 123 II 16 E. 7 sowie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5017/2013 vom 15. Juli 2014 E. 3.1).

1.6 Am 1. Januar 2010 sind das MWSTG sowie die zugehörige Verordnung vom 27. November 2009 (MWSTV; SR 641.201) in Kraft getreten. Der zu beurteilende Sachverhalt hat sich in den Jahren 2010 und 2011 ereignet und somit ausschliesslich nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes. Damit kommt einzig dieses zur Anwendung.

2.

2.1 Der Bund erhebt eine allgemeine Verbrauchssteuer nach dem System der Nettoallphasensteuer (auch als Allphasensteuer mit Vorsteuerabzug bzw. Mehrwertsteuer bezeichnet; Art. 1 Abs. 1 MWSTG; Art. 130 BV). Die Steuer wird auf den im Inland von steuerpflichtigen Personen gegen Entgelt erbrachten Leistungen (Inlandsteuer), auf dem Bezug von Leistungen von Unternehmen mit Sitz im Ausland durch Empfänger und Empfängerinnen im Inland (Bezugsteuer) und auf Einfuhren von Gegenständen (Einfuhrsteuer) erhoben (Art. 1 Abs. 2 MWSTG).

2.2 Dienstleistungen von Unternehmen, die ihren Sitz im Ausland haben und die nicht im Register der steuerpflichtigen Personen eingetragen sind, unterliegen der Bezugsteuer, sofern sich der Ort der Leistung im Inland befindet (Art. 45 Abs. 1 Bst. a MWSTG). Steuerpflichtig ist der Empfänger der Leistung im Inland, sofern er entweder nach Art. 10 MWSTG steuerpflichtig ist oder - bei gegebenen anderen Voraussetzungen - im Kalenderjahr für mehr als Fr. 10'000.-- solche Leistungen bezieht (Art. 45 Abs. 2 Bst. a und b MWSTG). Es kommen die ordentlichen Steuersätze zur Anwendung (Art. 46 i.V.m. Art. 24 f. MWSTG). Wer einzig aufgrund der Bezugsteuer steuerpflichtig wird, hat sich innert 60 Tagen nach Ablauf des Kalenderjahres, für das er steuerpflichtig ist, schriftlich bei der ESTV anzumelden und gleichzeitig die bezogenen Leistungen zu deklarieren (Art. 66 Abs. 3 MWSTG).

Die Bezugsteuer ergänzt die Inland- sowie die Einfuhrsteuer und trägt damit zur lückenlosen Realisierung des aus der Wettbewerbsneutralität fliessenden Bestimmungslandprinzips im internationalen Verhältnis bei (vgl. Alois Camenzind/Niklaus Honauer/Klaus A. Vallender/Marcel R. Jung/Simeon L. Probst, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz [MWSTG], 3. Aufl., 2012, Rz. 2092). Sinn und Zweck der Besteuerung von Dienstleistungsimporten ist die umfassende und rechtsgleiche Erfassung von Leistungen im Inland und damit auch die Vermeidung ungerechtfertigter Wettbewerbsvorteile ausländischer Anbieter (Urteil des Bundesgerichts 2C_310/2009 vom 1. Februar 2010 E. 4.4 mit Hinweis auf Urteil des Bundesgerichts 2A.541/2006 vom 21. Februar 2007 E. 2.3, publ. in: StR 62/2007, S. 590).

Die Bezugsteuer unterscheidet sich insofern grundlegend von der Inlandsteuer, als dass die gemäss Art. 45 MWSTG bezugsteuerpflichtige Person grundsätzlich auch die anvisierte Steuerbelastete ist. Jedoch kann die Bezugsteuer gemäss Art. 28 Abs. 1 Bst. b MWSTG unter gegebenen Umständen als Vorsteuer in Abzug gebracht werden. Voraussetzung dafür ist im Wesentlichen das Vorliegen einer subjektiven Steuerpflicht nach Art. 10 ff. MWSTG sowie das Anfallen der Vorsteuer im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit (vgl. Beatrice Blum, in: Felix

Geiger/Regine Schluckebier [Hrsg.], MWSTG Kommentar, Schweizerisches Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer mit den Ausführungserlassen sowie Erlasse zum Zollwesen, 2012, [nachfolgend: MWSTG Kommentar], Art. 28 N. 2 ff.). Da dergestalt steuerpflichtigen Personen das Recht zusteht, ordnungsgemäss deklarierte Bezugsteuern im Umfang ihrer Berechtigung zum Vorsteuerabzug anzurechnen, wird die Steuerneutralität der Bezugsteuer im unternehmerischen Bereich realisiert (Blum, MWSTG Kommentar, Art. 28 N. 9). Gemäss Art. 28 Abs. 4 MWSTG ist der Abzug der Vorsteuer nach Art. 28 Abs. 1 MWSTG zulässig, wenn die steuerpflichtige Person nachweist, dass sie die Vorsteuer bezahlt hat.

Wie dargelegt, können aufgrund von Art. 28 Abs. 1 MWSTG nur gemäss Art. 10 MWSTG steuerpflichtige Personen Vorsteuern in Abzug bringen. Ist ein Unternehmen gemäss Art. 10 Abs. 2 MWSTG von der Inlandsteuerpflicht befreit, besteht gemäss Art. 11 Abs. 1 MWSTG das Recht, auf die Befreiung von der entsprechenden Steuerpflicht zu verzichten. Der Verzicht auf die Befreiung von der Steuerpflicht kann mit Wirkung auf jeden Zeitpunkt innerhalb der laufenden Steuerperiode gegenüber der ESTV erklärt werden. Als frühester Zeitpunkt ist nach Art. 14 Abs. 4 MWSTG der Beginn der laufenden Steuerperiode möglich. Damit ist eine rückwirkende Verzichtserklärung für frühere Steuerperioden ausgeschlossen (vgl. Ivo P. Baumgartner/Diego Clavadetscher/Martin

Kocher, Vom alten zum neuen Mehrwertsteuergesetz - Einführung in die neue Mehrwertsteuerordnung, 2010, § 3 Rz. 54).

2.3 Gemäss Art. 92 Abs. 1 MWSTG kann die ESTV rechtskräftig festgesetzte Steuern ganz oder teilweise erlassen, wenn die steuerpflichtige Person:

a. die Steuer aus einem entschuldbaren Grund nicht in Rechnung gestellt und eingezogen hat, eine nachträgliche Überwälzung nicht möglich oder nicht zumutbar ist und die Bezahlung der Steuer eine grosse Härte bedeuten würde;

b. die Steuer einzig aufgrund der Nichteinhaltung von formellen Vorschriften oder aufgrund von Abwicklungsfehlern schuldet und erkennbar ist oder die steuerpflichtige Person nachweist, dass für den Bund kein Steuerausfall entstanden ist; oder

c. aus einem entschuldbaren Grund ihren Veranlagungspflichten nicht nachkommen konnte, nachträglich aber nachweisen oder glaubhaft machen kann, dass die durch die ESTV vorgenommene Ermessenseinschätzung zu hoch ausgefallen ist; in diesem Falle ist ein Steuererlass nur bis zur Höhe des zu viel veranlagten Betrages möglich.

Es ist unbestritten, dass vorliegend die Erlassgründe von Art. 92 Abs. 1 Bst. c MWSTG nicht zur Anwendung gelangen. Ebenfalls wurde das Erlassgesuch nicht im Rahmen eines gerichtlichen Nachlassverfahrens gestellt, womit kein Fall von Art. 92 Abs. 2 MWSTG vorliegt. Daher beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf die Varianten von Art. 92 Abs. 1 Bst. a und b MWSTG.

2.4 Gemäss Art. 92 Abs. 6 MWSTG regelt der Bundesrat die Voraussetzungen und das Verfahren für den Steuererlass näher. Von dieser Kompetenz hat er jedoch bis jetzt noch keinen Gebrauch gemacht (Guido Müller, MWSTG Kommentar, Art. 92 N. 24).

2.5 Der Steuererlass stellt den Verzicht des Gemeinwesens auf einen ihm zustehenden steuerrechtlichen Anspruch dar, mit welchem das öffentliche Vermögen vermindert wird. Er bildet Teil der sogenannt rechtlichen Untergangsgründe der Steuerforderung und kann damit ausschliesslich in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen und bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen gewährt werden. Ausgeschlossen ist somit insbesondere ein "gnadenweiser" Erlass über den gesetzlich geregelten hinaus. Aus Gründen der rechtsgleichen Behandlung der Steuerpflichtigen muss der Steuererlass seltene Ausnahme bleiben (vgl. Michael Beusch, Der Untergang der Steuerforderung, 2012, S. 188 mit weiteren Hinweisen; vgl. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-593/2014 vom 27. Mai 2014 E. 3.3.3; A-1714/2006 vom 11. August 2008 E. 2.4 mit weiteren Hinweisen).

2.6 Art. 92 Abs. 1 MWSTG sieht als Grundvoraussetzung für einen Erlass das Vorliegen einer rechtskräftig festgesetzten Steuer vor. Der Steuererlass gehört somit nicht zur Steuerveranlagung, sondern zum Steuerbezug (Baumgartner/Clavadetscher/Kocher, a.a.O., § 10 Rz. 153). Im Erlassverfahren wird ausschliesslich geprüft, ob die gesetzlich statuierten Erlassvoraussetzungen erfüllt sind. Eine Revision der Steuerforderung selbst ist in einem solchen Verfahren nicht möglich. Die Erlassbehörde ist denn auch nicht befugt, Letztere nachzuprüfen (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1080/2014 vom 2. Oktober 2014 E. 2.2.2 mit Verweis auf BVGE 2009/45 E. 2.3 [betrifft den Erlass der direkten Bundessteuer]; Beusch, a.a.O., S. 209). Die Rechtskraft einer Mehrwertsteuerforderung beurteilt sich nach Art. 43 Abs. 1 MWSTG.

2.7 Die Gründe für einen Erlass liegen stets in der "Person" des Steuerschuldners (Beusch, a.a.O., S. 202). Neben der allgemeinen Voraussetzung der Rechtskraft der Steuerforderung müssen - soweit hier interessierend - entweder sämtliche Voraussetzungen von Art. 92 Abs. 1 Bst. a oder sämtliche von Bst. b MWSTG erfüllt sein (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 25. Juni 2008 zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer [nachfolgend: Botschaft zum MWSTG], BBl 2008 6885, 7013).

2.7.1 Bei den Voraussetzungen gemäss Art. 92 Abs. 1 Bst. a MWSTG, welche kumulativ gegeben sein müssen, handelt es sich um die folgenden:

- Die steuerpflichtige Person hat die Steuer aus einem entschuldbaren Grund nicht in Rechnung gestellt und auch nicht eingezogen;

- die nachträgliche Überwälzung ist nicht möglich oder kann der steuerpflichtigen Person nicht zugemutet werden; sowie

- die Bezahlung der Steuer würde eine grosse Härte bedeuten.

Die unbestimmten Rechtsbegriffe ("entschuldbarer Grund", "nachträgliche Überwälzung nicht zumutbar" sowie "grosse Härte") lassen der ESTV einen relativ grossen Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Erlassgesuche (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-1080/2014 vom 2. Oktober 2014 E. 2.3; A-6523/2012 vom 18. Juni 2013 E. 3.3.2;

Müller, MWSTG Kommentar, Art. 92 N. 14).

Nach der Botschaft zum MWSTG liegt ein "verständlicher Grund beispielsweise dann vor, wenn die steuerpflichtige Person sich über die Steuerpflicht in einem Irrtum befunden hat und eine andere Person unter gleichen Voraussetzungen ebenso gehandelt hätte" (BBl 2008 6885, 7013; Camenzind/Honauer/Vallender/Jung/Probst, a.a.O., Rz. 2377). In der Lehre wird betreffend die Frage der Entschuldbarkeit eines Grundes vorgebracht, dass auch die von der Rechtsprechung und Lehre entwickelten Kriterien zur unverschuldeten Nichteinhaltung von Fristen im Rahmen des prozessrechtlichen Instituts der Fristwiederherstellung hilfsweise herangezogen werden können (Beusch, a.a.O., S. 218): Im Verwaltungsverfahren kann eine Frist dann wiederhergestellt werden, wenn der Gesuchsteller oder sein Vertreter unverschuldeterweise abgehalten worden ist, innert Frist zu handeln (Art. 24 Abs. 1 VwVG). Im Interesse der Rechtssicherheit und eines geordneten Verfahrens darf ein Hinderungsgrund nicht leichthin angenommen werden. Als unverschuldet im Sinne von Art. 24 Abs. 1 VwVG kann ein Versäumnis nur dann gelten, wenn dafür objektive Gründe vorliegen und der Partei bzw. der Vertretung keine Nachlässigkeit vorgeworfen werden kann. Als erheblich sind mit anderen Worten nur solche Gründe zu betrachten, die der Partei auch bei Aufwendung der üblichen Sorgfalt die Wahrung ihrer Interessen verunmöglicht oder unzumutbar erschwert hätten (Moser/Beusch/

Kneubühler, a.a.O., Rz. 2.140 unter Verweis auf Urteil des Bundesgerichts 2C_703/2009 und 2C_22/2010 vom 21. September 2010 E. 3.3 mit Hinweisen; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts B-65/2012 vom 11. April 2012 E. 3 und E. 4.3 sowie E-350/2012 vom 1. Februar 2012 mit Hinweisen). Nicht als unverschuldete Hindernisse in Bezug auf die Fristwahrung gelten namentlich organisatorische Unzulänglichkeiten, Arbeitsüberlastung, Ferienabwesenheit oder Unkenntnis der gesetzlichen Vorschriften (Moser/Beusch/Kneubühler, a.a.O., Rz. 2.143 unter Verweis auf Urteile des Bundesverwaltungsgerichts C-300/2009 vom 16. Februar 2009 E. 2.1 und A-1514/2006 vom 14. Februar 2008 E. 2.5 mit Hinweisen). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gelten Gesetze mit der amtlichen Publikation des Textes als bekannt. Jemand der aus seiner Unkenntnis des Rechts etwas zu seinen Gunsten ableiten will, muss sich den Grundsatz "error iuris nocet", wonach die subjektive Unkenntnis des Rechts nicht vor den entsprechenden Rechtsfolgen schützt, entgegenhalten lassen (Urteil des Bundesgerichts 5A_240/2011 vom 6. Juli 2011 E. 6.5 mit weiteren Hinweisen, insbesondere auf BGE 127 III 357 E. 3d). Auch von (potenziell) Mehrwertsteuerpflichtigen wird verlangt, dass sie über die erforderlichen Kenntnisse betreffend ihre (allfälligen) gesetzlichen Pflichten verfügen und sich über die geltende Praxis zum Mehrwertsteuergesetz hinreichend informieren (vgl. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-1344/2011 und A-3285/2011 vom 26. September 2011 E. 3.3 mit weiteren Hinweisen). Aus alledem folgt, dass Unwissenheit betreffend das Gesetz bzw. rechtliche Bestimmungen allein, nicht als "entschuldbarer Grund" im Sinne von Art. 92 Abs. 1 Bst. a MWSTG gelten kann. Gemäss dieser Bestimmung reicht es denn auch nicht aus, dass sich die steuerpflichtige Person betreffend ihre Steuerpflicht (zum Beispiel aus Unwissenheit) "im Irrtum" befand. Vielmehr muss dieser Irrtum im konkreten Fall aus einem entschuldbaren Grund entstanden sein.

Unzumutbarkeit bzw. Unmöglichkeit der nachträglichen Überwälzung dürfte beispielsweise in Fällen vorliegen, in welchen die steuerpflichtige Person an eine Vielzahl von oder an anonyme Leistungsempfänger gelangen müsste oder wenn Leistungsempfänger nicht mehr existieren (Müller, MWSTG Kommentar, Art. 92 N. 16; Baumgartner/

Clavadetscher/Kocher, a.a.O., § 10 Rz. 153).

Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "grossen Härte" kann auch die einschlägige reichhaltige Kasuistik aus den anderen Steuerrechtsgebieten herangezogen werden (Beusch, a.a.O., S. 218). Sodann ist die "grossen Härte" von der "erheblichen Härte" gemäss Art. 90 Abs. 1 MWSTG zu unterscheiden. Demnach würde ein kurzfristiger Liquiditätsengpass kaum als "grosse Härte" bezeichnet werden können. Hingegen dürfte von einer solchen auszugehen sein, wenn der Fortbestand der steuerpflichtigen Person aufgrund der Steuerforderung gefährdet erschiene (Müller, MWSTG Kommentar, Art. 92 N. 15).

2.7.2 In Art. 92 Abs. 1 Bst. b MWSTG werden folgende Voraussetzungen für einen Steuererlass genannt (Müller, MWSTG Kommentar, Art. 92 N. 17):

- Die steuerpflichtige Person kann nachweisen oder es ist für die ESTV erkennbar, dass dem Bund kein Steuerausfall entstanden ist; und

- eine formelle Vorschrift wurde nicht eingehalten; oder

- es liegt ein Abwicklungsfehler vor.

Nach den Ausführungen in der Botschaft zum MWSTG ist diese Bestimmung auf den Fall anwendbar, bei dem die steuerpflichtige Person die MWST einzig deshalb schuldet, weil sie bei der Steuerabrechnung formelle Vorschriften nicht eingehalten hat. Allerdings sollten solche Fälle nicht mehr vorkommen, zumal das Gesetz grundsätzlich keine formellen Vorschriften (wie beispielsweise Formerfordernisse für zu erbringende Nachweise; vgl. dazu Art. 81 Abs. 3 MWSTG) mehr kennt (BBl 2008 6885, 7013; Camenzind/Honauer/Vallender/Jung/Probst, a.a.O, Rz. 2378). In jedem Fall darf dem Bund nachweislich kein Steuerausfall entstanden sein. Dies ist beispielsweise immer dann der Fall, wenn der Leistungserbringer an andere Steuerpflichtige fakturiert, die zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind (Müller, MWSTG Kommentar, Art. 92 N. 20).

In Art. 92 Abs. 1 Bst. b MWSTG wird auch der "Abwicklungsfehler" genannt, wobei nicht näher beschrieben wird, was darunter zu verstehen ist. Auch aus dem französischen und italienischen Wortlaut von Art. 92 Abs. 1 Bst. b MWSTG ergibt sich keine Klärung, zumal dort von "erreurs pour des raisons d'organisation" bzw. "errori per motivi di organizzazione" die Rede ist. In der Lehre wird die Meinung vertreten, es sei wohl - unter Berücksichtigung des Wortlauts von Art. 87 Abs. 2 MWSTG, wonach bei einer Nachbelastung kein Verzugszins geschuldet ist, wenn diese auf einem Fehler beruht, der bei richtiger Abwicklung beim Bund zu keinem Steuerausfall geführt hätte - davon auszugehen, dass jeder Fehler unter Abwicklungsfehler subsumierbar sei (vgl. Müller, MWSTG Kommentar, Art. 92 N. 19). Dies darf indessen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Form- bzw. Abwicklungsfehler jeweils untrennbar an eine zu Grunde liegende Willensbildung gebunden sind. Mit anderen Worten muss zunächst ein auf etwas Bestimmtes gerichteter Wille vorhanden sein. Die Umsetzung dieses Willens kann sodann an einem Formfehler oder einem Fehler in der Abwicklung scheitern. Hingegen können die Umstände, welche zum jeweiligen Willen geführt haben, nicht selbst Form- oder Abwicklungsfehler sein.

2.8 Gemäss den Ausführungen des Bundesrats in der Botschaft zum MWSTG hat die steuerpflichtige Person keinen Anspruch auf Erlass der Steuer (BBl 2008 6885, 7014). Dementsprechend ist in Art. 92 Abs. 1 MWSTG auch nur eine "Kann-Formulierung" zu finden. Ob diese Auffassung zutrifft, ist - wie von der Lehre aufgezeigt - fraglich (vgl. Beusch, a.a.O., S. 231 ff.; Pascal Mollard/Xavier Oberson/Anne Tissot

Benedetto, Traité TVA, 2009, Annexe 3 Rz. 527). Wie dem auch sei: Gemäss Art. 92 Abs. 3 MWSTG besteht - wie ganz allgemein bereits aufgrund der Rechtsweggarantie von Art. 29a BV - die Möglichkeit der Beschwerdeführung an das Bundesverwaltungsgericht. Bei der gerichtlichen Überprüfung einer Verfügung der ESTV muss jedoch deren grosser Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Voraussetzungen für einen Steuererlass beachtet werden. Überprüft wird aber die Einhaltung der Grenzen der Ermessensausübung (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-1080/2014 vom 2. Oktober 2014 E. 2.4; A-6523/2012 vom 18. Juni 2013 E. 3.4; Beusch, a.a.O., S. 232 f.).

2.9 Verzugszinsen haben ihren Ursprung in der verspäteten Zahlung einer Mehrwertsteuerforderung und dienen dazu, den der Steuerverwaltung auf dieser Forderung entstandenen Zinsverlust auszugleichen. Sie treten zu dieser hinzu und teilen ihr Schicksal. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass die Verzugszinspflicht endet, sobald die Mehrwertsteuerforderung bezahlt ist. Demzufolge handelt es sich auch bei den Verzugszinsen im weiteren Sinn um geschuldete Mehrwertsteuer (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1714/2006 vom 11. August 2008 E. 3.1.1; Müller, MWSTG Kommentar, Art. 92 N. 7).

3.

3.1 Im vorliegenden Fall ist die Grundvoraussetzung der rechtskräftig festgesetzten Steuer durch die Einschätzungsmitteilung Nr. [...] vom 6. Juni 2014 gegeben. Nachfolgend gilt es zu untersuchen, ob die Voraussetzungen für einen Steuererlass nach Art. 92 Abs. 1 Bst. a oder b MWSTG erfüllt sind.

3.2 Unstrittig ist, dass die Beschwerdeführerin ihren Sitz im Inland hat und in den Jahren 2010 und 2011 Dienstleistungen im Wert von über Fr. 10'000.-- von Unternehmen mit Sitz im Ausland, welche nicht im Register der steuerpflichtigen Personen eingetragen sind, bezog. Damit war sie während dieses Zeitraums ohne Weiteres bezugsteuerpflichtig (E. 2.2). Da die Beschwerdeführerin ihre eigenen Dienstleistungen grossmehrheitlich an Unternehmen im Ausland erbringt und im Inland die Umsatzgrenze von Fr. 100'000.-- nicht erreicht, ist sie von der Inlandsteuerpflicht befreit. Will sie die Bezugsteuer als Vorsteuer in Abzug bringen, müsste sie somit auf die Befreiung von der entsprechenden Steuerpflicht verzichten (E. 2.2). Dies hat sie im Laufe des Jahres 2012 erstmals gemacht, womit sie den Vorsteuerabzug rückwirkend ab 1. Januar 2012 geltend machen konnte (E. 2.2).

3.3 Zunächst wird geprüft, ob die in Frage stehenden Bezugsteuern im vorliegenden Fall gestützt auf Art. 92 Abs. 1 Bst. b MWSTG erlassen werden können:

Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie schulde die für die Jahre 2010 und 2011 festgesetzten Bezugsteuern einzig aufgrund des Nichteinhaltens formeller Vorschriften bzw. wegen eines Abwicklungsfehlers. Den Form- bzw. Abwicklungsfehler erblickt sie darin, dass sie sich - aufgrund eines Irrtums in Bezug auf ihre Bezugsteuerpflicht - nicht rechtzeitig der Steuerpflicht gemäss Art. 10 MWSTG unterstellt und dadurch die Möglichkeit verpasst habe, die Bezugsteuern als Vorsteuern in Abzug zu bringen. Diesbezüglich verweist sie auf Art. 45a der bis Ende 2009 geltenden Verordnung vom 29. März 2000 [aMWSTGV, AS 2006 2353, 2354] zum MWSTG vom 22. September 1999 [aMWSTG; AS 2000 1300]. Diese Bestimmung war zwischen 1. Juli 2006 und 31. Dezember 2009 in Kraft getreten und lautete wie folgt:

Allein aufgrund von Formmängeln wird keine Steuernachforderung erhoben, wenn erkennbar ist oder die steuerpflichtige Person nachweist, dass durch die Nichteinhaltung einer Formvorschrift des Gesetzes oder dieser Verordnung für die Erstellung von Belegen für den Bund kein Steuerausfall entstanden ist.

Sodann beruft sich die Beschwerdeführerin auf die Praxismitteilung (E. 1.5) der ESTV vom 31. Oktober 2006 betreffend die Behandlung von Formmängeln: In Ziff. 2.11 der genannten Praxismitteilung wurde festgehalten, dass - im Gegensatz zu vorher - ab dem 1. Juli 2006 auch in den Steuerquartalen vor der Eintragung als inlandsteuerpflichtige Person getätigte Dienstleistungsbezüge von Unternehmen mit Sitz im Ausland, in der ersten Abrechnung, die auf das bewilligte Optionsgesuch (gemeint ist in der heutigen Terminologie der Verzicht auf die Befreiung von der Inlandsteuerpflicht) hin folgt, nachdeklariert und der Vorsteuerabzug vorgenommen werden kann, soweit die bezogenen Dienstleistungen für steuerbare Zwecke verwendet worden sind.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, die ESTV habe ihr gestützt auf diese Praxis zugestanden, die in den Jahren 2007 - 2009 angefallenen Bezugsteuern als Vorsteuern in Abzug zu bringen. Vor dem Hintergrund, dass aus der Botschaft zum MWSTG hervorgehe, dass Sinn und Zweck von Art. 45a aMWSTGV durch Art. 92 Abs. 1 Bst. b MWSTG übernommen werden sollte (vgl. BBl 2008 6885, 7013; Baumgartner/

Clavadetscher/Kocher, a.a.O., § 10 Rz. 154), sei die damalige Praxis der ESTV weiterzuführen bzw. die hier in Frage stehenden Bezugsteuern gestützt darauf zu erlassen.

Dieser Argumentation kann aus folgenden Gründen nicht gefolgt werden: Zwar trifft es grundsätzlich zu, dass sowohl durch Art. 45a aMWSTGV wie auch durch Art. 92 Abs. 1 Bst. b MWSTG sichergestellt werden sollte, dass niemand aus rein formellen Gründen mit Steuer belastet wird, wenn dem Bund nachweislich kein Steuerausfall entsteht (E. 2.7.2), doch schuldet die Beschwerdeführerin für die Jahre 2010 und 2011 Bezugsteuern, weil sie in diesem Zeitraum Dienstleistungen aus dem Ausland bezog (Art. 45 MWSTG; E. 2.2 sowie E. 3.2) und - mangels rechtzeitigem Verzicht auf Befreiung von der Inlandsteuerpflicht (E. 2.2) - nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt war. Dass nur gemäss Art. 10 MWSTG steuerpflichtige Personen Vorsteuern in Abzug bringen können, ist ein Grundsatz materiellen Rechts, und nicht eine formelle Vorschrift. Sodann erfolgt der Verzicht auf die Befreiung von der entsprechenden Steuerpflicht freiwillig. Ein von der Steuerpflicht befreites Unternehmen entscheidet selbstverantwortlich, ob es auf die Befreiung verzichten will, oder nicht. Dieser Entscheid ist in diesem Sinne nicht "richtig" oder "falsch". Nur weil das Unternehmen im Nachhinein feststellt, dass es vorteilhafter gewesen wäre, zu einem gegebenen Zeitpunkt auf die Befreiung von der Steuerpflicht gemäss Art. 10 MWSTG zu verzichten, stellt dies objektiv gesehen nicht einen Fehler - und somit auch keinen Form- oder Abwicklungsfehler im Sinne von Art. 92 Abs. 1 Bst. b MWSTG (E. 2.7.2) - dar. Der einzige "Fehler", den die Beschwerdeführerin aus steuerrechtlicher Sicht begangen hat, ist, dass sie sich nicht innert der in Art. 66 Abs. 3 MWSTG festgelegten Frist als bezugsteuerpflichtige Person bei der ESTV angemeldet und die bezogenen Leistungen deklariert hat (E. 2.2). Und selbst wenn sie die bezogenen Leistungen pflichtgemäss deklariert hätte, hätte dies nicht automatisch den Verzicht auf die Steuerbefreiung (Art. 11 MWSTG) bedeutet. Der Entscheid für oder gegen einen solchen Verzicht auf die Steuerbefreiung ist ein individueller und nicht an die Bezugsteuerpflicht gekoppelt. Es sind denn auch durchaus Fälle denkbar, in welchen ein entsprechender Verzicht für ein Unternehmen trotz Bezugsteuerpflicht insgesamt nicht die vorteilhafteste Lösung darstellt und es sich deshalb bewusst gegen einen Verzicht auf die Befreiung von der Inlandsteuerpflicht entscheidet. Sodann bewirkt ein solcher Verzicht lediglich, dass die Bezugsteuern unter den gegebenen weiteren Voraussetzungen (als Vorsteuern) abgezogen werden können. Die Bezugsteuerpflicht an sich wird davon nicht berührt.

Aus welchen Gründen die Beschwerdeführerin nicht auf eine Befreiung von der Steuerpflicht verzichtet hat, muss hier unberücksichtigt bleiben. Relevant ist einzig, dass diese Wahl weder einen Form- noch einen Abwicklungsfehler darstellt (E. 2.7.2.). Daran vermag auch die frühere Praxis der ESTV nichts zu ändern (siehe dazu oben sowie E. 1.5).

In den Jahren 2010 und 2011 war die Beschwerdeführerin gemäss Art. 10 Abs. 2 MWSTG von der obligatorischen Inlandsteuerpflicht befreit und es lag kein Verzicht auf Befreiung von der entsprechenden Steuerpflicht vor. Da ein solcher aufgrund des geltenden Rechts für den fraglichen Zeitraum auch nicht nachgeholt werden kann (E. 2.2), würde dem Bund ohne Weiteres ein Steuerausfall entstehen, würden die hier in Frage stehenden Bezugsteuern nicht bezahlt bzw. als Vorsteuern geltend gemacht (E. 2.7.2). Damit sind die Voraussetzungen für einen Steuererlass nach Art. 92 Abs. 1 Bst. b MWSTG vorliegend nicht erfüllt.

3.4 Es bleibt zu prüfen, ob im vorliegenden Fall ein Erlass gestützt auf Art. 92 Abs. 1 Bst. a MWSTG in Frage kommt:

In Bezug auf das in dieser Bestimmung genannte Erfordernis der Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der nachträglichen Überwälzung der Steuer (E. 2.7.1), macht die Beschwerdeführerin geltend, dass es bei der Bezugsteuer von vornherein keine Überwälzungs- und damit auch keine Korrekturmöglichkeit gebe. Die Konstellation, in welcher die Steuer grundsätzlich nicht überwälzt werden könne, da die entsprechenden Leistungen ins Ausland erbracht würden, sei nicht geregelt. Die Beschwerdeführerin erblickt darin eine echte Gesetzeslücke (E. 1.4) und ist der Ansicht, dass die Voraussetzung der Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der nachträglichen Überwälzung (E. 2.2 und E. 2.7.1) unter diesen Umständen im vorliegenden Fall als erfüllt zu betrachten sei. Die Frage, ob von einer Lücke des Gesetzes auszugehen ist, kann indessen offen bleiben, zumal es vorliegend ohnehin an der Erfüllung der Voraussetzung des entschuldbaren Grundes mangelt:

Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, sich ihrer Bezugsteuerpflicht nicht bewusst gewesen zu sein. Der Irrtum in Bezug auf ihre Bezugsteuerpflicht rühre daher, dass sie die von (Tochter-) Unternehmen aus dem Ausland bezogenen (Beratungs-) Dienstleistungen sogleich wieder an Unternehmen mit Sitz im Ausland weiterverrechnet habe. Deshalb habe sie die bezogenen Dienstleistungen lediglich als Teil ihrer Kosten gesehen, anstatt sie als eigenständige, der Bezugsteuer unterliegende, Leistungen zu erkennen bzw. zu deklarieren. Es sei hinlänglich bekannt, dass dieser Irrtum Unternehmen in vergleichbaren Situationen immer wieder unterlaufe. Demzufolge sei vorliegend von einem entschuldbaren Irrtum auszugehen.

Diese Argumentation geht aus folgenden Gründen fehl: Die objektive Steuerpflicht der von der Beschwerdeführerin aus dem Ausland bezogenen Dienstleistungen ergibt sich ohne Weiteres aus dem Gesetz (Art. 45 Abs. 1 Bst. a MWSTG). Die Beschwerdeführerin ist ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen. Von einem solchen darf erwartet werden, dass es die anwendbaren rechtlichen Bestimmungen kennt. Wie dargelegt, schützt die subjektive Unkenntnis des Rechts oder ein Vertrauen auf die Rechtsgültigkeit nicht vor den entsprechenden Rechtsfolgen. Mit anderen Worten kann die Beschwerdeführerin aus der Unkenntnis des Gesetzes nichts zu ihren Gunsten ableiten (E. 2.7.1).

Es bleibt zu prüfen, ob der konkrete Grund, welcher gemäss der Beschwerdeführerin dazu geführt hat, dass sie fälschlicherweise glaubte, überhaupt nicht mehrwertsteuerpflichtig zu sein, als entschuldbar einzustufen ist. Als diesen entschuldbaren Grund erachtet die Beschwerdeführerin den Umstand, dass sie aufgrund der Abrechnungsmethode (Kostenaufschlagsmethode), welche sie mit ihren Dienstleistungserbringern verwende, nicht realisiert habe, der Bezugsteuer unterliegende Leistungen zu beziehen. Sie beruft sich diesbezüglich darauf, dass es auch andere Unternehmen geben dürfte, die sich in einer vergleichbaren Situation betreffend ihre Bezugsteuerpflicht im Irrtum befinden. Selbst wenn dem tatsächlich so wäre, ist davon auszugehen, dass diesen unzählige Bezugsteuerpflichtige gegenüberstehen, welche die entsprechenden Leistungen, auch unter vergleichbaren Umständen wie denjenigen, unter welchen die Beschwerdeführerin mit ihren Dienstleistungserbringern abrechnet, korrekt deklarieren. Immerhin hält die Beschwerdeführerin selbst fest, allein durch den Beizug eines Steuerberaters realisiert zu haben, bezugsteuerpflichtig zu sein. Somit kann vorliegend nicht angenommen werden, dass eine andere Person unter den nämlichen Voraussetzungen gleich wie die Beschwerdeführerin gehandelt hätte (E. 2.7.1). In einem solchen Fall kann ein - ohne Weiteres vermeidbarer - Irrtum über die Steuerpflicht nicht als entschuldbar bezeichnet werden.

Da für einen Steuererlass in Anwendung von Art. 92 Abs. 1 Bst. a MWSTG alle in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen (E. 2.3 und E. 2.7.1), kann nach Feststellung des Fehlens einer Voraussetzung auf die Prüfung der weiteren Voraussetzungen verzichtet werden. Nach dem Dargelegten ist auch der Erlassgrund gemäss Art. 92 Abs. 1 Bst. a MWSTG nicht gegeben.

3.5 Betreffend die Verzugszinsen ist der Beschwerdeführerin zwar darin beizupflichten, dass der Verzugszins für die eingeforderten Bezugsteuern Teil der Forderung der ESTV bildet. Verzugszinsen treten zur MWST-Forderung hinzu und teilen das Schicksal der Hauptforderung (E. 2.9). Da indes die geschuldete Bezugsteuer im vorliegenden Fall nicht erlassen werden kann, bleiben auch die Verzugszinsen geschuldet.

3.6 Das Gesuch um aufschiebende Wirkung ist mit vorliegendem Endentscheid gegenstandslos geworden.

4.

Es gilt nun noch über eine allfällige Kostenauferlegung zu entscheiden. Nach Art. 92 Abs. 5 MWSTG ist das Steuererlassverfahren kostenfrei. Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat, betrifft dieser Artikel nur das Verfahren vor der ESTV. Das bundesverwaltungsgerichtliche Verfahren richtet sich demgegenüber nach den Bestimmungen des VwVG (E. 1.1). Dieses sieht die Auferlegung der Kosten an die unterliegende Partei vor (Art. 37 VGG, Art. 63 VwVG; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-1080/2014 vom 2. Oktober 2014 E. 4; A-6523/2012 vom 18. Juni 2013 E. 5.1).

Ausgangsgemäss hat daher die Beschwerdeführerin die Verfahrenskosten zu tragen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Diese sind auf Fr. 10'000.-- festzusetzen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Dieser Betrag wird dem Kostenvorschuss (Fr. 10'000.-) entnommen. Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 64 Abs. 1 VwVG e contrario).

5.

Dieser Entscheid kann nicht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht weitergezogen werden (Art. 83 Bst. m BGG).

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Das Gesuch um aufschiebende Wirkung wird als gegenstandslos geworden abgeschrieben.

2.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

3.

Die Verfahrenskosten von Fr. 10'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. Der einbezahlte Kostenvorschuss wird zur Bezahlung der Verfahrenskosten verwendet.

4.

Eine Parteientschädigung wird nicht zugesprochen.

5.

Dieses Urteil geht an:

- die Beschwerdeführerin (Einschreiben)

- die Vorinstanz (Ref-Nr. [...]; Einschreiben)

Der vorsitzende Richter:

Die Gerichtsschreiberin:

Michael Beusch

Zulema Rickenbacher

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