Gesetzesmaterialien zu Art. 78 MWSTG 2010

Parlamentarische Beratungen

Die parlamentarischen Beratungen des MWSTG 2010 aus dem Jahr 2009 finden sich hier: Parlamentarische Beratungen

Gesetzesfahne

Die Gesetzesfahne zeigt die durch das Parlament diskutierten Änderungen des Gesetzestextes verglichen mit dem Botschaftstext.

Botschaft 2008

Unten finden sie den Botschaftstext zu dieser Bestimmung. Die ganze Botschaft finden sie unter diesem Link: Botschaft 2008

BBl 2008, S. 7001 ff.

Absatz 1 stellt die gesetzliche Grundlage zur Durchführung der Kontrollen bei den steuerpflichtigen Personen vor Ort dar. Der Regelungsgehalt entspricht Artikel 62 Absätze 1 und 2 MWSTG.

Absatz 2 regelt neu, dass auch das Einfordern und Überprüfen von umfassenden Unterlagen durch die ESTV als Kontrolle gilt. Gemäss Absatz 5 ist jede Kontrolle mit einer Einschätzungsmitteilung abzuschliessen, welche bei Anerkennung durch die steuerpflichtige Person für die überprüfte Steuerperiode rechtskräftig wird. Aus der Rechtsfolge, dass die Steuerforderung für die gesamte kontrollierte Periode festgehalten werden muss, kann auf den erforderlichen Umfang umfassender Unterlagen rückgeschlossen werden. Nur wo sich die ESTV aus diesen eingeforderten Unterlagen überhaupt ein komplettes Bild über die mehrwertsteuerrelevanten Vorgänge in der fraglichen Periode machen kann, kann es sich somit um umfassende Unterlagen im Sinne von Absatz 2 handeln. Die ESTV hat auch künftig die Möglichkeit, nur eine punktuelle Überprüfung einzelner Geschäfte – beispielsweise hinsichtlich der Höhe von geltend gemachten Vorsteuern – vorzunehmen, ohne dass diese Prüfung mittels einer Einschätzungsmitteilung im Sinne von Absatz 5 abzuschliessen wäre. Es würde dem Gebot der Erhebungswirtschaftlichkeit und der Verwaltungsökonomie entgegenlaufen, wenn die ESTV nicht mehr berechtigt wäre, bloss einzelne Vorgänge einer kurzen internen Prüfung zu unterziehen.

Absatz 3: Gemäss der heutigen Bestimmung (Art. 62 Abs. 2 MWSTG) muss eine Kontrolle immer im Voraus angemeldet werden, ausser wenn Kollusionsgefahr besteht. Der Begriff der Kollusionsgefahr ist strafrechtlicher Natur. Er verleitet deshalb zu der Annahme, dass bei Kollusionsgefahr bereits strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt. Dies ist jedoch nicht zwingend der Fall. Weil sich die Verfahrensrechte und -pflichten im Veranlagungsverfahren und im Strafverfahren erheblich unterscheiden und diese selbstverständlich je vollumfänglich zu wahren und zu gewähren sind, dürfen die zwei Verfahrenstypen nicht vermischt werden. Es ist deshalb angezeigt, dies auch begrifflich zu manifestieren. Neu sieht Absatz 3 deshalb vor, dass in begründeten Fällen ausnahmsweise von der Voranmeldung einer Kontrolle abgesehen werden kann. Von einem begründeten Fall ist beispielsweise dann auszugehen, wenn eine steuerpflichtige Person mehrmals, ohne konkrete Gründe zu benennen, eine Kontrolle verschiebt oder nicht zulässt. Einen begründeten Fall können auch die Konstellationen darstellen, bei denen es für die ESTV von zentraler Bedeutung ist, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt einen speziellen Sachverhalt klären zu können. Erkennt die ESTV ausserdem aufgrund der bei ihr eingegangen Informationen, dass bei einer steuerpflichtigen Person eine unübliche und (noch) nicht erklärbare Situation vorliegt, ohne dass es bereits konkrete Gründe für die Annahme von strafrechtlich relevantem Verhalten gibt, muss es ihr ohne Vorankündigung möglich sein, diesen Sachverhalt vor Ort klären zu können.

Absatz 4 räumt der steuerpflichtigen Person das Recht ein, eine Kontrolle ihrer Abrechnungen durch die ESTV zu verlangen und dadurch einen klaren Entscheid über die kontrollierte Periode zu erhalten. Dies erhöht die Rechtssicherheit für die steuerpflichtige Person wesentlich. Sie hat zu begründen, warum und in welchem Umfang sie eine Kontrolle wünscht, damit die ESTV die durchzuführenden Kontrollen planen und die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen kann. Die Tatsache, dass eine Begründung verlangt wird, ändert nichts am Rechtsanspruch auf Durchführung der Kontrolle; die Begründungspflicht stellt somit bloss eine Ordnungsvorschrift dar. Die Änderung führt bei der ESTV zu einem Mehraufwand, weil damit zu rechnen ist, dass die Nachfrage nach Durchführung einer Kontrolle grösser wird, das heisst vermehrt steuerpflichtige Personen eine Kontrolle in ihrem Betrieb beantragen, um in den Genuss der Rechtssicherheit zu kommen. Die Änderung wird somit hinsichtlich der Erhebungswirtschaftlichkeit ins Gewicht fallen. Die personellen Ressourcen bei der ESTV werden daher tendenziell erhöht werden müssen (vgl. dazu auch Ziff. 3.2).

Absatz 5 ist neu. Eines der grossen Anliegen der Steuerpflichtigen ist es, mehr Rechtssicherheit zu erhalten. Dies wurde von Seiten der Wirtschaftsverbände, der Beraterbranche und der Politik wiederholt angeführt. Wird heute eine Kontrolle an Ort und Stelle durchgeführt, werden in der Regel die MWST-Abrechnungen der letzten fünf Jahre (innerhalb der Verjährungsfrist) überprüft. Werden Fehler entdeckt, korrigiert sie der Inspektor oder die Inspektorin und stellt eine Ergänzungsabrechnung (EA) oder eine Gutschriftsanzeige (GS) aus. Die EA bzw. GS umfasst somit nicht die gesamte Steuerschuld für eine bestimmte Steuerperiode. Bei einer Kontrolle wird lediglich die Differenz zwischen der Selbstdeklaration der steuerpflichtigen Person und den Feststellungen der ESTV ermittelt. Diese Differenz wird anschliessend zugunsten oder zuungunsten der steuerpflichtigen Person in der GS oder der EA festgehalten. Überprüft die ESTV im Rahmen einer internen punktuellen Kontrolle bei einer oder mehreren Abrechnungen der steuerpflichtigen Person bestimmte Bereiche (z.B. Vorsteuerabzug), wird das Kontrollergebnis ebenfalls in einer EA oder GS ausgewiesen. Eine EA bzw. eine GS behandelt in aller Regel nicht die gesamte Steuerforderung einer kontrollierten Periode. Somit kann nicht einmal in einem Steuerverfahren, welches aufgrund einer Bestreitung der EA ausgelöst wird, eine definitive Veranlagung einer Periode erreicht werden. Dies soll sich durch das neue Recht ändern. Wenn die ESTV neu eine Kontrolle durchführt, hat sie die gesamte Steuerforderung der kontrollierten Steuerperioden in einer Einschätzungsmitteilung festzuhalten. Die steuerpflichtige Person kann diese Einschätzungsmitteilung entweder vorbehaltlos bezahlen oder die Einleitung eines Steuerverfahrens verlangen. Beides führt gestützt auf Artikel 43 Buchstabe a oder b E-MWSTG letztlich zu einer rechtskräftigen Festsetzung der gesamten Steuerforderung der kontrollierten Periode.

Heute werden jährlich rund 9000 Kontrollen vor Ort, das heisst am Sitz des Unternehmens oder bei dessen Steuervertreter oder -vertreterin, durchgeführt. Nur bei rund 3 Prozent dieser Kontrollen wird ein Rechtsverfahren eingeleitet, das heisst, bei rund 97 Prozent wird das Kontrollergebnis von den Steuerpflichtigen akzeptiert. Damit die steuerpflichtige Person nicht zwangsläufig mit einem Verwaltungsverfahren (Art. 81 ff. E-MWSTG) konfrontiert ist, sieht das Gesetz vor, dass der Inspektor oder die Inspektorin nach Abschluss der Kontrolle der steuerpflichtigen Person eine Einschätzungsmitteilung abzugeben hat, in welcher er oder sie das Kontrollergebnis, also die mögliche Steuernachbelastung oder Steuergutschrift, festhält. Die steuerpflichtige Person kann zu dieser Einschätzungsmitteilung Stellung nehmen und sie mit dem Inspektor oder der Inspektorin besprechen. Kann sich die steuerpflichtige Person mit der Einschätzungsmitteilung nicht einverstanden erklären, hat sie ein Verwaltungsverfahren auszulösen. Absatz 5 räumt der ESTV ein Jahr Zeit ein, um die Kontrolle abzuschliessen. Die Nichtbefolgung dieser Frist hat keine direkten Rechtsfolgen, das heisst, es handelt sich um eine Ordnungsfrist. Zu beachten ist allerdings, dass mit der Ankündigung der Kontrolle die Frist für die Festsetzungsverjährung auf zwei Jahren verkürzt wird (Art. 42 Abs. 2 E-MWSTG).

Absatz 6 ist gegenüber dem heutigen Artikel 62 Absatz 3 MWSTG um das Berufsgeheimnis der Effektenhändler ergänzt worden, womit diese Branche mit den gesetzlich anerkannten Banken und Revisionsstellen gleichgestellt wird. Nachdem das Börsengesetz auf den 1. Februar 1997 einen dem Bankgeheimnis der Banken und Sparkassen entsprechenden Schutz des Berufsgeheimnisses bei den Effektenhändlern eingeführt hat, lässt sich nämlich eine Ungleichbehandlung dieser beiden Gruppen von Finanzakteuren im Rahmen der MWST nicht mehr rechtfertigen. Mit dieser Ergänzung kann die Motion 03.3481 (Merz) Büttiker vom 29. September 2003, welche vom Parlament dem Bundesrat überwiesen wurde, erfüllt werden.