Einleitung

Ein klares Ziel des ab 1. Januar 2010 gültigen neuen Mehrwert-

steuergesetzes vom 12. Juni 2009 (MWSTG) war es, für die Mehr-

wertsteuerpflichtigen eine höhere Rechtssicherheit zu schaf-

fen [1]. Aus diesem Grund wurde unter anderem die absolute

Festsetzungsverjährung, d. h. die Frist innerhalb der eine

Forderung durch die Eidg. Steuerverwaltung (ESTV) verbindlich

festgelegt werden muss, von 15 Jahren auf 10 Jahre verkürzt [2].

Diese Verkürzung ist absolut, d. h. die Forderung der ESTV

muss selbst bei Rechtsmittelverfahren innerhalb von 10 Jah-

ren durch eine rechtskräftige Einschätzungsmitteilung

oder ein rechtskräftiges Urteil festgesetzt sein. Gelingt das

nicht, so hat die Steuerpflichtige [3] die durch die ESTV ver-

langte Mehrwertsteuerforderung nicht zu bezahlen, da die

Forderung verjährt ist.

An sich ist diese verkürzte Festsetzungsfrist zu begrüssen.

Die Steuerpflichtige soll innerhalb einer vernünftigen Frist

wissen, welche Steuern sie zu bezahlen hat und welche nicht.

Leider führt die verkürzte absolute Festsetzungsverjährung

aber auch dazu, dass die ESTV mehr und mehr gezwungen

wird, nach Kontrollen und der Mitteilung des provisorischen

Kontrollergebnisses sofort Einschätzungsmitteilungen mit

Rechtsmittelbelehrungen zu verfügen. Damit kann sie si-

cherstellen, dass bei Erhebung von Rechtsmitteln aufgrund

der absoluten Festsetzungsverjährung nicht viele der in der

Kontrolle geltend gemachten Mehrwertsteuerforderungen

vor Entscheid durch das Bundesgericht bereits verjährt sind,

weil mehr als 10 Jahre abgelaufen sind.

Konkret führt das dazu, dass die ESTV bei einer Kontrolle

eines Steuerpflichtigen im Jahre 2015 über die Kontrollperi-

ode 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2014 eine Einschät-

zungsmitteilung betreffend allfälliger in der Kontrolle fest-

gestellter zusätzlicher Mehrwertsteuerforderungen, insbe-

sondere für das Steuerjahr 2010, schnell verfügen muss.

Die ESTV muss nämlich berücksichtigen, dass bei Ergrei-

fen von Rechtsmitteln bis an das Bundesgericht nur Zeit bis

Dezember 2020 bleibt, da sonst die in der Kontrolle einver-

langte Mehrwertsteuerforderung für das Steuerjahr 2010

absolut verjährt ist und nicht mehr eingefordert werden

kann. Mit anderen Worten bleiben für die endgültige rechts-

kräftige Festlegung einer zusätzlichen Mehrwertsteuerfor-

derung für die Steuerperiode 2010 rund 5 Jahre und ein paar

Monate! In dieser Periode muss die Einschätzungsmitteilung

erstellt werden, muss bei Einsprache durch den Steuerpflich-

tigen ein Einspracheentscheid gefällt werden, muss bei Be-

schwerde der Steuerpflichtigen an das Bundesverwaltungs-

gericht ein Bundesverwaltungsgerichtsentscheid ergehen

und muss bei Beschwerde an das Bundesgericht ein Entscheid

des Bundesgerichts getroffen werden, damit die Steuerperi-

ode 2010 überhaupt rechtskräftig und damit endgültig im

Sinn von Art. 42 Abs. 6 MWSTG 2010 wird. Anzumerken ist

hier, dass diese verkürzte absolute Festsetzungsverjährung

gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht für kon-

trollierte Jahre vor 2010 gilt, da hier noch die alte 15-jährige

absolute Festsetzungsverjährung Anwendung findet [4].

Damit wird klar, dass sich die ESTV für Diskussionen mit

der Steuerpflichtigen über das provisorische Kontrollergebnis

wenig Zeit nehmen kann, was leider zu einer Eile ohne Weile

führt. Die ESTV wird aufgrund der drohenden Verjährung

schneller als bisher eine Einschätzungsmitteilung verfügen.

Auch die Rechtsmittelinstanzen werden einem noch höheren

Zeitdruck ausgesetzt, um eine Verjährung zu vermeiden.

Die verkürzte Verjährungsfrist hat darüber hinaus zwei Fol-

gen: Erstens muss die Mehrwertsteuerpflichtige dafür sorgen,

dass sie bereits in der Phase der Kontrolle durch die ESTV die

Sachlage und auch ihre mehrwertsteuerrechtlichen Argumen-

te umfassend vorbereitet, damit der Revisor diese Aspekte in

einer frühen Phase der Revision berücksichtigen und prüfen

kann. Auf der anderen Seite muss die Mehrwertsteuerpflich-

tige auch bereit sein, bei einer schnell durch die ESTV gefäll-

ten Einschätzungsmitteilung Einsprache zu erheben, sofern

sie die Einschätzungsmitteilung nicht akzeptieren kann.

Dieser Beitrag soll der Steuerpflichtigen eine Anleitung

insbesondere zu den formellen Aspekten einer solchen Ein-

sprache geben. Damit kann sich die Steuerpflichtige auf die

umfassende Darstellung des Sachverhalts, die Beweismittel

und die übrigen materiellrechtlichen Punkte konzentrieren.

Sie finden deshalb nachfolgend anhand des Aufbaus einer

solchen Einsprache Ausführungen zu den formellen Punkten.

Weiter sind auch Punkte betreffend Sachverhaltsdarstel-

lung, Beweislastverteilung und Auslegung dargelegt, welche

in den materiellen Teil einer solchen Einsprache gehören.